HANS-HEINRICH REUTER (Weimar)
Noch einmal: Ein umstrittener Spruch des alten Fontane
Ein unbekanntes Thomas-Mann-Zeugnis, zugleich ein notwendiger Schlußstrich
Masaru Fujita hat kürzlich in den „Fontane-Blättern" (Band 1, Heft 8, S. 410 bis 420) die nachgerade berühmt gewordene „Geschichte" von Thomas Manns Zitierweise und Interpretation des Fontaneschen Spruches „Leben" im Zusammenhang dargestellt. Die Umsicht und Gründlichkeit dieser Untersuchung sind um so höher zu schätzen, als sie einmal mehr belegen, mit welcher Kenntnis und Hingabe heute selbst in den entferntesten Teilen der Erde das Werk Theodor Fontanes durchforscht und erschlossen wird. So ist denn auch gegenüber dem referierenden Teil von Fujitas Aufsatz, in dem alle verfügbaren Zeugnisse - einschließlich eines bisher ungedruckten Thomas-Mann-Briefes (S. 410) - kritisch befragt werden, höchste Anerkennung am Platze. Lediglich einige Schlußfolgerungen bedürfen dringend der Korrektur; Verf. ist überzeugt, daß sie der japanische Gelehrte selbst vorgenommen hätte, wäre ihm auch hierzu das entsprechende Material zur Hand gewesen.
Masaru Fujita geht mit Recht ausführlich auf die heftige Auseinandersetzung (1920) zwischen Thomas Mann und Otto Pniower über die vierte Zeile des Fontaneschen Spruches ein (S. 411-417). Thomas Mann zitierte diese Zeile nach Ettlingers Nachlaßband (1908, S. 162) wie folgt:
Ist das Wissen, das es sendet,
und verteidigte diese Fassung nachdrücklich gegenüber Pniower, der nach einer im Fontane-Archiv befindlichen Abschrift des verschollenen Originals (auch Ettlinger hatte lediglich diese Abschrift zur Verfügung gehabt) für die folgende, auf Grund des philologischen Überlieferungsbefundes einzig vertretbare Lesart plädieren mußte:
Ist das Wissen, daß es endet.
Soweit die Quintessenz des Referates von Masaru Fujita. Es gipfelt in dem Satze: „Nach den mir bekannt gewordenen Äußerungen und Texten hat Thomas Mann bis zu seinem Tode seine erste Lesart und Deutung des Spruches verteidigt" (S. 420); Fujita „kann .. . nicht glauben, daß Thomas Mann ... seine bisher feste Überzeugung geändert hätte", und führt diese angebliche Hartnäckigkeit auf „die unveränderte Überzeugung Thomas Manns über sein Verhältnis zu Fontane" zurück (S. 419).
Thomas Mann war indessen alles andere als unbelehrbar, und sein in der Tat innigstes Verhältnis zu Fontane - keinem zweiten deutschen Dichter hat er ein Leben lang so die Treue gehalten - konnte durch die Preisgabe einer Lesart und einer sich auf sie gründenden Fehlinterpretation (als wie bestechend sie ihm seinerzeit immer erschienen sein mochte) natürlich nicht im mindesten verändert, gar getrübt werden.
So hat Thomas Mann denn auch tatsächlich die von Fujita bezweifelte Revision vollzogen und sich zu der von ihm einst angegriffenen und verworfenen „echten" Fassung bekannt. Das betreffende Zeugnis wird hier erstmals mitgeteilt; sein Inhalt ist gleichwohl nach allem, was wir über Thomas Mann wis-
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