Heft 
(1981) 32
Seite
673
Einzelbild herunterladen

Welchen Anlaß kann nun aber George Hesekiel gehabt haben, eine so abenteuerliche, doch unzutreffende Abstammungslegende zu verbreiten? Dieser Frage bin ich lange nachgegangen und kam schließlich zu folgender Erklärung:

Unwissenheit ist bei George auszuschließen, da seine Romane und Erzäh­lungen eine umfassende Kenntnis der Geschichte erkennen lassen, was auch für viele der Gedichte gilt.

Zwei Hinweise haben mich, wie ich annehme, auf den Hintergrund der anstehenden Frage gebracht:

Der von George Hesekiels Vater genannte Ort Saatzke, heute Zaatzke, Krs. Wittstock/Dosse, hat in Kirchenbüchern von damals mehrfach den Namen Hesekiel nachzuweisen, wenn auch die Geburt des Gesuchten wegen Fehlens des betreffenden Kirchenbuches nicht zu ermitteln ist. In der fraglichen Zeit war das Gut im Besitz der Familie von Guericke. Es konnte ferner aus dem Guericke-Archiv ermittelt werden, daß drei Hesekiels von dem letzten Gutsherrn in seinem Testament mit erheblichen Geschenken bedacht worden sind.

Gutsherr war aber ein von Friedrich Wilhelm I. suspendierter General, hamens von Lilien, dessen Frau eine von Guericke war. Dieser hohe Offizier, der zuvor auch Zivil-Gouverneur von Geldern war und vom preußischen König geadelt wurde, war in Ungnade gefallen, weil er ohne königliche Genehmigung einen Soldaten aus der Truppe entlassen hatte (vgl. die Angaben inAllgem. Deutsche Biographie). Wenig später starb dieser von Lilien übrigens, kinderlos.

Der zweite Hinweis, der mich zu einer Klärung der Unklarheit führte, ist eben dieser Name v. Lilien. Seit wenigstens nachweislich 150 Jahren wird in der Familie Hesekiel ein Siegelring vererbt, der das Lilienwappen zeigt. In George Hesekiels Nachlaß bezeichnet er dies als das Hesekiel-Wappen, freilich ohne nähere Erklärung. Was Wunder, wenn er in seiner Korre- spondenten-Zeit er schrieb für die französische Redaktion der Kreuz­zeitung sich hinter dem PseudonymLilien-Korrespondent verbirgt, wie Fontane schon auf der nächsten Seite seiner Darstellung zu erzählen weiß.

Der Kreis der Zusammenhänge schließt sich dann, wenn man annimmt, daß jener entlassene General eben den zu Unrecht freigelassenen Soldaten miit sich nahm, auf das Gut seiner Frau, da er sonst den Häschern des strengen Königs mit dem Makel eines Deserteurs leicht ins Netz gekommen wäre.

Darum der neu angenommene Name. Der ursprüngliche Name, den Georges Vater mit Zieme angegeben hat, kam übrigens in Zaatzke gar nicht vor. Und da jener Ex-General vermutlich ein menschliches Herz hatte, ist durchaus glaubwürdig, daß Hesekiel-Kinder aus seinem Testament bedacht wurden, zumal er selbst keine Kinder hatte.

Wenn diese Deutung zutrifft, wird man es dem George Hesekiel nicht mehr so verdenken, daß er seine wirkliche Abstammung zu verbergen suchte. Schließlich hatte er sich zu einem ganz besonders loyalen, königstreuen

673