in der „Effi Briest“ und „Der Stechlin“ entstanden sind, in der Fontane „immer demokratischer“ 7 wurde und die Überlegenheit der organisierten Arbeiterbewegung über die „altregierenden Klassen“ 8 erkannte ... ?
Der Fontane-Forscher und Fontane-Biograph Hans-Heinrich Reuter hat
— nicht als erster, aber zuerst mit systematischer Konsequenz — Fontanes Entwicklung zum kritisch-realistischen Erzähler als die Geschichte einer Verspätung lJ bezeichnet und beschrieben und dabei ein Wort aus den „Kinderjahren“, ein Wort über den Vater des Dichters auf den Sohn übertragen : „ ... wie er ganz zuletzt war, so war er eigentlich“ 10 . Fontanes Entscheidung für autobiographische Darstellungen hängt damit aufs engste zusammen, eine Entscheidung, die beinahe auf den Tag genau zu datieren ist: den siebzigsten Geburtstag am 30. Dezember 1889. Fontane hat sich über die Ehrungen und Feierlichkeiten vorwiegend ironisch-distanziert geäußert, über die „große Zeit“, in der er, „nach fünfzigjähriger fast pennsylvanischer Absperrung vom Welt- und Literaturgetriebe“, plötzlich seiner Nation als „Theodorus Victor“ gezeigt wurde. 11 Eines aber hat ihn, bei aller Freude über die Wertschätzung durch zahlreiche bürgerliche, meist intellektuelle Verehrer, tief getroffen und geschmerzt: daß ihm die Anerkennung derer versagt blieb, über die er hauptsächlich geschrieben hatte, daß das brandenburgisch-preußische Junkertum den Verfasser der „Männer und Helden“, der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ brüskierte. Gewiß: die Einsicht, daß adlige Geburt und adlige Gesinnung zweierlei ist und nicht selten einen Gegensatz bezeichnet, diese Einsicht hatte Fontane schon in den sechziger Jahren gewonnen, und der Prozeß der weiteren Desillusionierung läßt sich aus den Briefen der siebziger und achtziger Jahre ablesen; die Erkenntnis aber, die der Siebzigjährige gewann, war die: daß der Adel — ungeachtet der weiterbestehenden „rein nach der ästhetischen und novellistischen Seite hin liegenden Vorliebe“ des Schriftstellers — „in die moderne Welt nicht mehr paßt“, daß er „verschwinden muß“. 12 Ganz gewiß hat diese Erkenntnis wesentlich, wenn nicht gar entscheidend dazu beigetragen, daß in Fontane das Bedürfnis entstand, sich mit seiner eigenen geistigen Entwicklung und zugleich mit dem politischen Geschehen, mit den gesellschaftlichen und kulturellen Prozessen in Preußen und Preußen-Deutschland, soweit sie seiner Erfahrung zugänglich waren, schreibend auseinanderzusetzen.
Um jene Jahreswende von 1889 zu 1890 hatte Fontane, wie gesagt, Glückwünsche des „alten Preußen“ erwartet; diejenigen jedoch, die sich zu seinem „Jubelfeste“ meldeten, gehörten anderen sozialen Schichten an, nicht wenige der jüdischen Intelligenz 13 , darunter der achtundzwanzig- jährige Maximilian Harden, damals Anhänger der „jungen Bühne“, das heißt der deutschen Naturalisten, und bald einer der meistgehaßten und -gefürchteten Gegner der Person und der Politik Kaiser Wilhelms des Zweiten. Harden hatte Fontane offensichtlich um biographische Mitteilungen für einen Geburtstagsartikel gebeten. Dieser aber erwiderte, nachdem er auf gedrucktes Material von fremder Hand hingewiesen hatte
— „alles recht schwach, leb- und lieblos, oder voll falscher Liebe, was noch schlechter ist als gar keine“ —: „Wenn ich tot bin, und es findet sich wer,
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