freie, sich weit dehnende Landschaft, oder man fährt umgekehrt durch eine Reihe langer Tunnels mit intermittierenden Ausblicken auf im Licht auf leuchtende Einzelpunkte. Welcher der beiden Methoden der Vorzug gebührt, ist schwer zu sagen. Es kann wichtig und interessant sein, in dem Gesamtbilde nichts zu vergessen, aber es kann sich auch empfehlen, sprungweise vorzugehen und weite Strecken unbeschrieben zu lassen, um dafür andres desto liebevoller und ausführlicher zu behandeln. Der Herr Verfasser, um es noch einmal zu sagen, hat seinen Blick, nach dem Prinzip der Gleichwertigkeit, auf die Gesamtheit der Erlebnisse gerichtet, und die große Mehrheit seiner Leser wird es ihm danken. Der Sinn für eine das eine oder andre bevorzugende Detailmalerei findet sich nur bei der Minorität. Jedenfalls bleibt die Frage offen.“ 20 Kein Zweifel, daß Theodor Fontane der Sprecher dieser Minorität war.
Uber die ihm gemäße Methode der selbstbiographischen Darstellung war sich Fontane also spätestens im Zusammenhang mit der kritischen Lektüre von Lübkes „Lebenserinnerungen“ klar geworden; daß der Gegenstand der eigenen Lebensbeschreibung — falls er sich entschlösse, eine solche zu Papier zu bringen — die Kindheit sein würde, darauf deuten die Zeugnisse schon seit den frühen sechziger Jahren. Als Fontane im Sommer 1863 nach Heringsdorf reiste, machte er einen Tag Zwischenstation in Swinemünde; er besuchte das Haus, in dem er „5 Jahre lang gelebt, gelernt, gespielt, gelacht, geweint“ hatte, und all die anderen Stätten, an die sich Kindheitserinnerungen knüpften. 21 Minuziös schildert er seiner Frau die Veränderungen, die im Lauf von dreißig Jahren in der kleinen Stadt vor sich gegangen waren, und die Art, wie er förmlich in Reminiszenzen schwelgt, läßt darauf schließen, daß Emilie mit jener glücklichen, unbeschwerten Zeit im Leben ihres Mannes gut vertraut gewesen sein muß. Damals ging er auch mit dem Gedanken um, sich mit der Familie in der Nähe von Swinemünde, zwischen Ahlbeck und Heringsdorf oder in Ahlbeck selbst, anzusiedeln. Der Plan scheiterte freilich, kaum daß er gefaßt war, an den Kosten, die für den Bau eines Hauses erforderlich gewesen wären. Die Erinnerung an die Plätze seiner Kinderjahre aber bleibt lebendig und findet in Fontanes publizistischem und poetischem Werk der siebziger und achtziger Jahre ihren Niederschlag. Der Entschluß dagegen, diese Erinnerungen niaderzuschreiben, reift erst viel später. Ein Brief an Emilie, diesmal von der Nordsee, aus Wyk auf Föhr, achtundzwanzig Jahre nach dem Aufenthalt in Swinemünde, Heringsdorf und Ahlbeck, deutet auf ihn hin. Wegen eines „tapfren Schnupfens“ habe er „alles Arbeiten“ einstellen müssen, schreibt Fontane am 23. August 1891. „Ich beschäftige mich damit, mein Leben zu überblicken, allerdings in etwas kindischer oder doch mindestens in nicht sehr erhabener Weise; bei den ernsten Dingen verweile ich fast gar nicht; ich sehe sie kaum und lasse Spielereien, Einbildungen und allerhand Fraglichkeiten an mir vorüberziehn.“ 22 Die ein Jahr darauf begonnene erste Autobiographie ist fast ausschließlich den Swinemünder Jahren gewidmet.
Knapp vier Jahre später — von den „Kinderjahren“ waren inzwischen drei Auflagen erschienen, und „Von Zwanzig bis Dreißig“ war im Entstehen
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