Heft 
(1981) 32
Seite
679
Einzelbild herunterladen

und eng verstandene Biographische verdrängen. Conrad Wandrey sah darinein Charakteristikum des höchsten Alters und der sinkenden Kraft 24 , und Erich Schmidt hatte schon 1898 in seiner Berliner Gedächtnis­rede bedauernd feststellen zu müssen geglaubt, daß in demlockeren Gefüge dieses Buches derCultus der Anekdote ... Fest auf Fest feire u,nd daß Fontanesvirtuose Plaudereien über einzelne Schriftsteller und ihre Werke, besonders über Storm und dieKugler-Gruppe, dochgar sehr der Ergänzung bedürfen 2 während siebzig Jahre später Walter Müller-Seidel Fontanes zweite Autobiographieauf weite Strecken nur als eineLiteraturgeschichte gelten lassen wollte,die sich anregend liest 26 .

Was, der angemessenen Bewertung und Rezeption dieser Autobiographie am meisten hinderlich war und bis zum heutigen Tage hinderlich geblieben ist, das ist Fontanes Bekenntnis zu seinerVorliebe für Anek­dotisches und mehr noch für ... Kleinmalerei 27 . Zur Kleinmalerei hatte sich Fontane schon im Jahre 1883 bekannt, als er den Vorwurf derWeit­schweifigkeit zurückwies, den ihm seine Frau nach der Herstellung des Manuskripts zuGraf Petöfy gemacht hatte.Ich behandle das Kleine, entgegnete er damals,mit derselben Liebe wie das Große, weil ich den Unterschied zwischen klein und groß nicht recht gelten lasse, treff ich aber wirklich! mal auf Großes, so bin ich ganz kurz. Das Große spricht für sich selbst: es bedarf keiner künstlerischen Behandlung, um zu wirken. Gegen­teils, je weniger Apparat und Inszenierung, um so besser... Herwegh schließt eines seiner Sonette (,An die Dichter) mit der Wendung:

,Und wenn einmal ein Löwe vor euch steht,

Sollt Ihr nicht das Insekt auf ihm besingen.

Gut. Ich bin danach Lausedichter, zum Teil sogar aus Passion; aber doch auch wegen Abwesenheit des Löwen. 28

Auf dasAnekdotische als auf das angeblich konstitutive Element der Fontaneschen Autobiographien haben, den Autor gründlich mißverstehend, außer Erich Schmidt noch weitere zeitgenössische Kritiker hingewiesen, und noch im Jahre 1965 hat der englische Literaturhistoriker Roy Pascal drucken lassen, Fontane sei inVon Zwanzig bis Dreißig derGefahr seiner Vorliebe für Anekdotischeserlegen. 29 Wahr ist dagegen, daß Fontane genau gewußt hat, wann und wie er sich der Anekdote als eines Stil- und Charakterisierungsmittels bedienen durfte und wo sich dieses Verfahren verbot. Schon 1864 hatte er geschrieben:Hat man irgend etwas in ernster und gehaltener Weise beschrieben, so kann man nachher mit kleinen Anekdoten kommen sie sind das Dessert, das aufgetragen wird. Fehlt aber der solide Untergrund, so erscheinen solche Mitteilungen, die nun nicht bloß Ornament sind, sondern die Sache selber sein wollen, in höchst bedenklichem Lichte... x Fontane hat sich, wenn nicht stets, so doch, in der Mehrzahl der Fälle, auch bei der Niederschrift seiner Auto­biographien von diesem Prinzip leiten lassen. Und nicht selten versteht er es, mit Hilfe einer Anekdote oder einer anekdotischen Umschreibung einen Menschen oder eine Situation treffender zu charakterisieren, als das andere

679