der erlernte Beruf nicht vollständig mit Stillschweigen übergangen wird, statt dessen von „Beschäftigung mit der Chemie“ die Rede. Als Fontane kurz vor Vollendung seines siebzigsten Lebensjahres einmal in einen Disput über Henrik Ibsen verwickelt wurde und sein Gesprächspartner die Ansicht äußerte, der norwegische Dramatiker sei zeit seines Lebens „den Apotheker nicht losgeworden“, da mußte er zwar laut lachen, aber nur, um „hinter der großen Lache“ seine eigene Angst zu verbergen 11 , um die sogleich bei ihm auf tauchende bange Frage zu verdrängen: „Wie steht es denn mit dir? merkt man es auch?“ 34
Um dieses „Angstgefühl“ zu verstehen, muß man wissen, daß zu Fontanes Zeit der Beruf des Pharmazeuten, wenn er nicht durch den Besitz einer eigenen Apotheke höhere gesellschaftliche Reputation mit sich brachte, mit einem Makel behaftet war, nicht nur in den Augen höherer preußischer Beamter, sondern auch in Kreisen der Intelligenz. Als Fontane Anfang der vierziger Jahre als Apothekergehilfe in Leipzig Anschluß an eine burschenschaftsähnliche oppositionelle Studentengruppe fand — den später von ihm so genannten „Herwegh-Klub“ —, war er dort, hauptsächlich wegen seines „unerschöpflichen Humors“, zwar ein gern gesehener Gast, aber gleichzeitig auch ein Gegenstand des Mitleids. Einer aus diesem Kreis, der mit dem Verse schreibenden Apotheker sogar näher befreundet war, der später als Orientalist und Sprachforscher berühmt gewordene Max Müller, meinte in seinen Lebenserinnerungen, Fontane, „ein sehr anziehender Mensch mit großen Geistesgaben“, sei damals „körperlich zurückgeblieben“ gewesen, weil er, „aus einem kleinen Drogengeschäft hervorgegangen“, „in der Jugend sehr schwer zu kämpfen gehabt“ habe. „Er hätte ein zweiter Heine werden können, aber die vielen Jahre harter Arbeit und hoffnungslosen Ringens hatten die Schwungkraft seiner Fittiche gelähmt.“ 33 Gewichtiger freilich als diese durch die Distanz mehrerer Jahrzehnte möglicherweise getrübte Reminiszenz des Oxforder Professors sind Fontanes eigene Reflexionen über dieses Thema.
Im Mai 1852, zu Beginn seines zweiten Londoner Aufenthalts, hatte ihm der Freund Bernhard von Lepel Empfehlungsbriefe an den preußischen Gesandten und an dessen Sohn geschickt, die Fontane sogleich ungelesen weiterbeförderte. Kurz darauf kamen ihm Skrupel; in einem Brief an seine Frau spricht er die Befürchtung aus, Lepel hätte, dem Diplomaten die Situation des Freundes schildernd, „vermutlich beim Giftmischer angefangen“, was „den alten Herrn mit Entsetzen erfüllt“ haben müsse, denn: „der frühre Apotheker ist unter allen Umständen wissenschaftlich nicht ebenbürtig... Lepel hat vielleicht Mitleid erwecken wollen und hat nur ... Abneigung zuwege gebracht.“ 36 Zehn Jahre später erklärte Fontane dem Verleger Wilhelm Hertz, der ihn um autobiographische Notizen gebeten hatte, „die Umschreibung resp. die Verleugnung der Apothekerschaft“ damit, daß es ihm auf Grund zehnjähriger Erfahrungen geraten erscheine, „über diesen dunklen Punkt ohne weitre Lichtverbreitung hinzugehn“ , 3 ‘
Ein Vierteljahrhundert mußte vergehen, ehe Fontane imstande war, sich von dem Trauma seiner Apothekerzeit zu befreien, indem er sie zum Gegenstand selbstbiographischer Darstellung und reflektierender Erinne-
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