rung machte. In der Autobiographie „Von Zwanzig bis Dreißig“ hat er, humoristisch verklärt zwar, doch mit detaillierter Eindringlichkeit, seine Erlebnisse und Erfahrungen als Apothekerlehrling und Apothekergehilfe geschildert. Sein sozialer Status entsprach damals ungefähr dem eines industriellen Lohnarbeiters; die Unterschiede bestanden lediglich in der Art der Tätigkeit, dem höheren Bildungsgrad und in einer patriarchalisch verbrämten Form des Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisses, die nun wieder zugleich Ursache dafür war, daß ein Solidaritätsgefühl oder gar ein Solidaritätsbewußtsein unter den Angestellten nicht aufkam, trotz der — mehr schlechten als rechten — gemeinsamen Unterkunft im Hause des jeweiligen Prinzipals. Fontane hat in den frühen vierziger Jahren und dann wieder am Ende seines Lebens nicht nur den arbeitenden Menschen schlechthin, sondern auch der organisierten Arbeiterklasse Sympathie entgegengebracht und bemerkenswertes Verständnis für ihre Ziele und Wege bekundet — ohne sich indessen in Wort oder Tat mit ihr zu solidarisieren. Alle seine radikal-demokratischen Bekenntnisse überschreiten nicht den Radius bürgerlichen Denkens, ungeachtet seiner Abscheu vor allem, was er als „bourgeois“ empfand und verstand.
Die Verachtung des „Bourgeoishaften“ hat ihre Wurzel in Fontanes eigenem Erleben, Es ist ganz gewiß kein Zufall, daß sein umfassendster Versuch, den Bourgeois als Typus zu beschreiben, seinem ersten Lehrherrn, dem Berliner Apotheker Wilhelm Rose, gilt. Trotz genauer Beobachtung bourgeoisen Verhaltens und sorgfältiger Analyse bourgeoisen Denkens hat Fontane gleichwohl die gesellschaftlichen Wurzeln des „Bourgeoistums“ nicht oder nur unvollkommen erkannt. Nicht der sozialökonomische Status des Kapitalisten, sondern die bourgeoise Gesinnung ist der Ausgangspunkt wie das Ergebnis der Kritik; die Ursache für das klassentypische Bourgeois- Denken und Bourgeois-Verhalten bleibt in den Reflexionen ausgespart oder wird beseite gedrängt, jedenfalls nicht als relevant begriffen. Mancher Zug in dem Wilhelm-Rose-Porträt ist gewiß im nachhinein auf diese Figur projiziert worden, so daß der vormärzliche patriarchalische Prinzipal das Aussehen eines gründerzeitlichen Unternehmers bekommen hat. Das „wohlhabend gewordene Speckhökerlum“ war es, angesichts dessen sich ihm das Herz umdrehte, wie es in einem Brief an die Tochter vom April 1884 heißt. Die Reflexionen, die darauf folgen, machen so recht deutlich, was Fontane präzis unter „Bourgeoistum“ verstand und verstanden wissen wollte: „Wirklicher Reichtum“ erklärt er unumwunden, imponiere ihm oder erfreue ihn wenigstens, seine Erscheinungsformen seien ihm „in hohem Maße sympathisch“, und er lebe „gern inmitten von Menschen, die 5000 Grubenarbeiter beschäftigen, Fabrikstädte gründen und Expeditionen aussenden zur Kolonisierung von Afrika“. „Große Schiffsreeder, die Flotten bemannen, Tunnel- und Kanalbauer, die Weltteile verbinden, Zeitungsfürsten und Eisenbahnkönige sind meiner Huldigungen sicher, ich will nichts von ihnen, aber sie schaffen und wirken zu sehn tut mir wohl; alles Große hat von Jugend auf einen Zauber für mich gehabt, ich unterwerfe mich neidlos.“ Der „Bourgeois“ aber (wie er ihn versteht) sei „nur die Karikatur davon“ -er ärgere, ihn „in seiner Kleinstelzigkeit und seinem
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