Heft 
(1981) 32
Seite
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werk 1 treffe bei ihmauf Lebenszeit buchstäblich und -in besonderer Hochgradigkeit zu 48 , dann möchte man ihm energisch widersprechen, möchte den Autor derKinderjahre auf seine Romane und Erzählungen, seine Balladen und Reisebücher, seine Essays und Kritiken und nicht zuletzt auf seine Briefe hinweisen, auf Theodor Fontanes gesamtes schrift­stellerisches CEuvre, das unter anderem auch von einer umfassenden und vielseitigen Bildung seines Verfassers Zeugnis ablegt.

Gewiß: der väterliche Unterricht wie die Schule haben Fontane nur wenig Wissen vermittelt; doch gerade das Bewußtsein seiner lückenhaften Bildung wurde für ihn zu einem wesentlichen Impetus, seine Kenntnisse ständig zu erweitern und zu vertiefen, sein Leben lang zu lernen, so daß er schließlich zwei Fremdsprachen, Englisch und Französisch, beherrschte, über eine solide literatur- und kunstgeschichtliche Bildung verfügte und sein zunächst sporadisch erworbenes historisches Wissen zu einem umfas­senden, scharf konturierten Geschichtsbild erweiterte, das es ihm ermög­lichte, ein ausgeprägtes Geschichtsbewußtsein zu entwickeln. Außerdem hatte er, schon auf der Berliner Gewerbeschule, einer 1824 von dem Geo­graphen und Historiker Friedrich von Kloden gegründeten Unterrichts- anstalt, der kein Geringerer als Goethe bewundernde Aufmerksamkeit hatte zuteil werden lassen'* 9 , und später während seiner Apothekerlehrzeit überdurchschnittliche Kenntnisse in den Naturwissenschaften, besonders auf dem Gebiet der Chemie, erworben. Als sich im Herbst 1849 eine der Diakonissinnen in Bethanien, deren pharmazeutische Ausbildung Fontane übernommen hatte, der Apothekerprüfung unterzog, stellte der Examinator, ein anerkannter Fachmann und Medizinalrat, in seinem Bericht an das preußische Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangele­genheiten fest, daß die Kenntnisse der Examinandinganz dazu angetan waren, sein Erstaunen zu erregen,indem dieselbe vorzugsweise im chemischen Teil der Prüfung eine, besonders für ein Frauenzimmer, und mir wenigstens in dieser Art noch nicht vorgekommen, gründliche Kennt­nisse der einfachen und zusammengesetzten Arzneimittel entwickelte. 50 Obwohl Fontanes Name in diesem Zusammenhang nicht genannt wird, trifft das der Schülerin gespendete Lob auch deren Lehrer.

Fontanes vorrangiges Interesse jedoch galt, von frühester Jugend bis ins hohe Alter, der Geschichte. Wie dieses Interesse durch den Vater geweckt worden ist, hat er in denKinderjahren ausführlich und anschaulich beschrieben, und in einem Brief an Theodor Storm, von dem schon im vorangegangenen Abschnitt die Rede war, spricht er von seineraus­geprägten Vorliebe für die Historie 51 , einer Vorliebe, die schon früh verbunden war mit intensiver Anteilnahme am Zeitgeschehen. Bereits im Alter von zehn Jahren war Fontane ein enthusiastischer Zeitungsleser. Besonders beeindruckt zeigte er sich, Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre, von den Freiheitskämpfen der Griechen und Polen wie von den revolutionären Erhebungen in Belgien und Frankreich. Dabei ist es außerordentlich kennzeichnend für den Künstler Fontane, daß in seiner Erinnerung das Aufbegehren der Völker gegen nationale und soziale Unterdrückung stets bildhaft-anschaulich präsent ist, sei es, daß sich seinem

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