Heft 
(1981) 32
Seite
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Gedächtnis zeitgenössische Darstellungen oder Bilder der eigenen Phantasie eingeprägt haben, sei es, daß sich die Ereignisse mit literarischen Remi­niszenzen verbinden. So hatte der Knabe an der Erhebung der Griechen gegen das türkische Joch zuerst durch die Guckkastenbilder einer Jahr­marktsbude Kenntnis erhalten, und der polnische Aufstand gegen das zaristische Rußland Anfang der dreißiger Jahre ist in seinem Bewußtsein hauptsächlich durch die Polen-Lieder Nikolaus Lenaus, Julius Mosens und Karl von Holteis lebendig geblieben. Am lebhaftesten aber beschäftigte ihn der Ausbruch der belgischen Revolution am 25. August 1830, weil das auslösende Moment eine Aufführung von Frangois Aubers OperDie Stumme von Portici gewesen war,und zwar gerade bei der Stelle: ,Dem Meertyrannen gilt die wilde Jagd 1.Ich fand dies unbeschreiblich schön, heißt es in denKinderjahren,vielleicht in der dunklen, für eine Poeten­natur immerhin schmeichelhaften Vorstellung, daß hier ein Lied eine politische Tat geweckt oder gezeitigt habe. 32

Fontanes Verhältnis zu den historischen wie zu den gegenwärtigen revolu­tionären Aktionen war durchaus zwiespältig und voller Widersprüche. Als Künstler konnte er sich für die Freiheitssehnsucht und die Freiheitskämpfe des Volkes und der Völker nahezu vorbehaltlos begeistern; als bürger­lich-idealistischer Historiker hegte er prinzipielle Zweifel am Erfolg revolutionärer Erhebungen, so daß er, aller seiner Freiheitsliebe unerachtet, jederzeit ein gewisses Engagement zugunsten der geordneten Gewalten in sich verspürte.Freiheitskämpfe haben einen eigenen Zauber, und ich danke Gott, daß die Geschichte deren in Fülle zu verzeichnen hat... So hat denn alles Einsetzen von Gut und Blut, von Leib und Leben zunächst meine herzlichsten Sympathien, obenap die Kämpfe der Niederländer, neuerdings die Garibaldischen. Aber ... es läuft, mir selber verwunderlich, ein entgegengesetztes Gefühl daneben her, und solange die Revolutions­kämpfe des sicheren Sieges entbehren, begleite ich all diese Auflehnungen nicht bloß mit Mißtrauen (zu welchem meist nur zuviel Grund vorhanden ist), sondern auch mit einer größeren oder geringeren, ich will nicht sagen in meinem Rechts-, aber doch in meinem Ordnungsgefühle begründeten Mißbilligung. Ein Zwergensieg gegen Riesen verwirrt mich und erscheint mir insoweit ungehörig, als er gegen den natürlichen Lauf der Dinge verstößt... Ich verlange von 300 000 Mann, daß sie mit 30 000 Mann schnell fertig werden, und wenn die 30 000 trotzdem siegen, so finde ich das zwar heldenmäßig und, wenn sie für Freiheit, Land und Glauben einstanden, außerdem auch noch höchst wünschenswert, kann aber doch über die Vorstellung nicht weg, daß es eigentlich nicht stimmt. 53 Es sind dies Reflexionen eines Mannes zu Beginn seines achten Lebensjahrzehnts, niedergeschrieben am Anfang der imperialistischen Epoche in Deutschland und nicht ohne weiteres und im vollen Umfang identisch mit den An­schauungen des jungen Fontane zur Zeit des Vormärz und während der Revolution von 1848. Es sind auch Theodor Fontanes letzte Worte in dieser Sache noch nicht. In den beiden großen Spätwerken, indirekt in einigen Dialogpassagen desStechlin, unmittelbar in der AutobiographieVon Zwanzig bis Dreißig, hat er seineGesamtanschauung über Kämpfe

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