darüber, „daß man, von so schwachen wirtschaftlichen Fundamenten aus, überhaupt hat leben ... und stellenweis ... eine kleine Rolle spielen können. Alles auf nichts andres hin als auf die Fähigkeit, ein mittleres lyrisches Gedicht und eine etwas bessere Ballade schreiben zu können. Es ist alles leidlich geglückt, und man hat ein mehr als nach einer Seite hin bevorzugtes und namentlich im kleinen künstlerisch abgerundetes Leben geführt, aber, zurückblickend, komme ich mir doch vor wie der ,Reiter über den Bodensee' in dem gleichnamigen Schwabschen Gedicht, und ein leises Grauen packt einen noch nachträglich.“ 59 Der Brief — der auch das Eingeständnis enthält, Menschen wie er sollten sich eigentlich nicht verheiraten, um nicht „Unschuldige in ihr eigenes fragwürdiges Dasein“ hineinzuziehen — ist ein charakteristisches Zeugnis für die Fontanesche Altersweisheit. 1849 jedoch, als er, in seinen politischen Erwartungen getäuscht, dennoch entschlossen war, knapp dreißigjährig, den Apothekerberuf aufzugeben, eine Familie zu gründen und deren Lebensunterhalt vom Ertrag seiner Feder zu bestreiten, war er weit entfernt von derlei abgeklärten Betrachtungen. Die schroffen Urteile über die Familie im allgemeinen und den Vater im besonderen müssen seiner damals oft verzweifelten Stimmung — als Folge einer scheinbar ausweglosen Situation — zugute gehalten werden.
Fontanes Persönlichkeitsentwicklung fand, möglicherweise bedingt oder wenigstens mitverursacht durch die Art seiner Erziehung, erst spät ihren Abschluß; noch für den in London lebenden Enddreißiger und Familienvater war „die Schul- und Lehrzeit“ 60 nicht abgeschlossen, und sein eigentliches Werk, die reifen Romane und Erzählungen, schuf er erst nach Vollendung des sechzigsten Lebensjahres. Daß er den „Ritt über den Bodensee“ gewagt hat, das heißt, allen Anfechtungen, allen familiären Auseinandersetzungen zum Trotz, auch in den von Existenz- und Zukunftssorgen überschatteten Zeiten dem Beruf treu geblieben ist, den er als seine Berufung erkannt hatte, ist gewiß ebenfalls auf die Erfahrungen seiner Jugend zurückzuführen; denn er hatte zeitig lernen müssen, sich um sich selbst zu kümmern. Aller Verlust dieser Jugend aber, die mangelhafte Ausbildung sowohl wie die ihm seit seinem dreizehnten Lebensjahr entzogene familiäre Geborgenheit, wird mehr als aufgewogen durch den Gewinn, der darin bestand, daß er, im Unterschied zu zahllosen begabten jungen Menschen vor, neben und nach ihm, nie unter dem Druck einer anmaßenden, auf bloße „Zucht“ gestellten elterlichen Autorität zu leiden hatte, daß er nicht in den Zwängen des preußischen Schulwesens geistig und seelisch deformiert und zum „Untertanen“ reif und tauglich gemacht worden ist.
Fontane war Autodidakt in des Wortes bester Bedeutung. Er war sich seines geistigen Ranges durchaus bewußt und fühlte sich all denen überlegen, deren Existenz und deren gesellschaftliche Stellung sich allein auf Ämter und äußere Würden gründete, und er verachtete die herrschende Anschauung, wonach „nur Examen, Zeugnis, Approbation, Amt, Titel, Orden, kurzum alles das, wohinter der Staat steht, Wert und Bedeutung geben.“. 01 Gleichwohl hat er zeitlebens darunter gelitten, daß man ihn bei
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