gleicht seine Wesensart mit einem dunkelgrundigen Teppich, in den nur sein ausgesprochener Sinn für Humor und alles Schöne ein Muster mit lichteren freundlichen Farben hineingewebt habe. Obgleich er sich schon als Kind — wie bereits erwähnt — nicht besonders von den Eltern geliebt und verstanden gefühlt hat, bewunderte und verehrte er seinerseits die Eltern und ihre Erziehung durch gutes Beispiel einer auf Liebe und Treue, auf Rechtsempflden und Anstand sich gründenden Ehe.
Wird, nun ein grade in den Entwicklungsjahren befindlicher junger Mensch dem toleranten Einfluß des Elternhauses weitgehend entzogen und einer strengen, oft auch kleinlichen Internatserziehung unterworfen, erscheint es begreiflich, daß sich in ihm Eigenschaften entfalten, die sicherlich veranlagt waren, aber unter den kritischen Augen der Eltern und Geschwister rechtzeitig gemildert und dann von diesen nicht als nur negativ empfunden worden wären. Man staunt, wie wenig offenbar die nächsten Familien- angehöigen Theos großes Bedürfnis nach Liebe und Verständnis erkannten, wie wenig sie von seinem komplizierten Charakter ahnten, der aus einem besonderen Sinn für Gerechtigkeit allen Entscheidungen wägend und abwägend gegenüberstand. Der Vater erwähnt in seinen Briefen an Frau, Tochter und Freunde zwar immer wieder, daß Theo „das beste seiner Kinder wäre“, aber seine „Pappstoffeligkeit, Prinzipienreiterei, das Durchdrungensein von seinen guten Absichten, die Mischung aus Bescheidenheit und Selbstbewußtsein“ lehnt er ab. Das beweist eine gewisse Distanz der väterlichen Gefühle zu eben diesem Sohn, der ihm im Vergleich zu den drei andern Kindern die wenigsten Sorgen bereitet hatte — vielleicht zu wenige und deshalb nicht das psychologische Einfühlungsvermögen des Vaters entsprechend herausforderte.
Theo selbst meinte, 1871 den wichtigsten Wechsel in seinem Dasein vollzogen zu haben. Er wurde Schüler des College Royal Francais und hat dort nach seiner Ansicht nachhaltigere Erfahrungen für sein Leben und dessen Gestaltung gewonnen, als ihm zur gleichen Zeit das theologische Seminar vermitteln konnte. Im französischen Gymnasium wurde der gesamte Unterricht mit Ausnahme der Fächer Deutsch, Religion und Hebräisch in französischer Sprache erteilt. Da seine Französisch-Kenntnisse aus dem Friedrich-Wilhelm-Gymnasium dafür als Vorbildung nicht ausreichten, mußte er zwar die Untersekunda wiederholen, war aber dann bis zum Abitur ein sehr guter Schüler und bestand als primus omnium. Die charakterliche Würdigung in seinem Abiturzeugnis soll nicht verschwiegen werden: „Er ist stets mit lobenswertem Eifer und großer Beharrlichkeit aller ihm obliegenden Pflichten naclfgekommen. Die Reinheit und Lauterkeit seines sittlichen Wesens hat ihn seinen Lehrern und Mitschülern besonders lieb gemacht“. Theo war in der Familie Fontane der erste Abiturient, noch dazu Primus! Seine Eltern, die sich zu der Zeit in Wien auf hielten, brachten ihm von dort ein Paar rot-weiße Hosenträger mit, die ihm zwar gut gefielen. Als Reiseandenken und zugleich Anerkenntnis für das so gut bestandene Abitur fand er es aber etwas wenig, auch bei beschränkten Mitteln.
Nicht zufrieden war er in diesen Jahren mit seinem Status als theologischer Seminarist. Sein Hang zum theologischen Beruf entsprang neben einer
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