Heft 
(1981) 32
Seite
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Novelle als einim Leben herangereifter Mann verfaßt hat, weist jeden­falls darauf hin, daß gesellschaftliche Bezüge, Resultate einer umfassenden Lebenserfahrung Fontanes, in diese Novelle eingeflossen sind. Unmittelbare, in die Richtung einer sozialpolitischen Absicht zielende Selbstinterpretationen Fontanes existieren für diese Novelle nicht.

Fontane hat seine eigenen Werke jedoch selbst an keiner Stelle umfassend interpretiert: Er hat über verschiedene künstlerische Einzelfragen korre­spondiert und diskutiert (so auch beiGrete Minde über die Frage, ob Volkslieder in Novellen historisch getreu zitiert werden müssen), weiter­gehende umfassende Deutungen seiner Werke hat er sich versagt, seine Werke sollten für sich selbst sprechen. Die an den Beginn gestellte These ist also aus der historischen Entstehungssituation der Novelle, aus ihr selbst und aus ihrer Stellung im Gesamtwerk Fontanes heraus zu begründen. Fontane faßte den Plan zu dieser Novelle vor dem Mai 1878. 11 Zwei Jahre vorher war er von der Stellung als ständiger Sekretär der Akademie der Künste in Berlin zurückgetreten, seit dieser Zeit lebte er als freier Schrift­steller, der durch den Bruch mit der Beamtenstellung ganz bewußt die; Freiheit gewinnen wollte und gewann, sich kritisch und unbefangen mit den gesellschaftlichen und staatlichen Erscheinungen seiner Zeit ausein­anderzusetzen.

Sein erster Roman,Vor der Sturm, war nahezu beendet, und Fontane plante zusammen mitSchach von Wuthenow eine zweite historische Novelle, ebenGrete Minde. 12

Gerade zu dieser Zeit, am 11. Mai 1878, hatte der Schustergeselle Hoedel ein Attentat auf Kaiser Wilhelm I. verübt, am 24. 5. 1878 wurde das erste Reichsgesetz über das Verbot der Sozialdemokratie im Reich in den Reichs­tag eingebracht, am 2. 6. 1878 folgte das Attentat des Dr. Nobiling aüf Wilhelm I., das dann im Oktober 1878 den Anlaß zur Verabschiedung des Sozialistengesetzes im Reichstag abgab.

Besonders das Attentat Nobilings hat auf Fontane starken Eindruck aus­geübt, er erwähnt dieses Ereignis in einer ganzen Anzahl seiner Briefe.

Fontane knüpfte an dieses Ereignis auch in seinen Briefen Betrachtungen über die Rolle der Arbeiterklasse beziehungsweise der Sozialdemokratie, wobei er der Macht dieser Klasse zukünftig große Wirkung zuschrieb, und er maß dieser Macht auch eine gewisse Legitimität bei:Millionen von Arbeitern sind gerade so gescheit, so gebildet, so ehrenhaft wie Adel und Bürgerstand; vielfach sind sie ihnen überlegen ... aber diese Leute sind uns vollkomen ebenbürtig, und deshalb ist ihnen weder der Beweis zu führen, daß es mit ihnen nichts sei, noch ist ihnen mit der Waffe in der Hand beizukommen. Sie vertreten nicht bloß Unordnung und Aufstand, sie ver­treten auch Ideen, die zum Teil ihre Berechtigung haben und die man nicht totschlagen oder durch Einkerkerung aus der Welt schaffen kann. Man muß sie geistig bekämpfen, und das ist, wie die Dinge liegen, sehr schwer.? 1 Preußen hatte gerade das, nämlich die Unterdrückung der Arbeiterschaft mit gewaltsamen Mitteln, versucht: Ein Verbot der sozialistischen Partei existierte hier bereits seit dem Jahre 1876. Seit 1875, der Vereinigung

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