Heft 
(1981) 32
Seite
710
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anders ist insbesondere, daß bei ihm der Brand nicht von einem zweifel­haften, kriminellen Subjekt gelegt wird, wobei der Hintergrund der Ent­erbung und der Rache als Motiv nur mittelbar erscheint, sondern daß er die Tat als von der enterbten Grete Minde folgerichtig als schicksalhaft notwendig durchgeführt darstellt. Dabei ist bei Fontane nicht Entwurzelung und moralische Haltlosigkeit der Täterin die entscheidende Ursache des Verderbens, sondern diese liegt viel eher in der grausamen Habgier der Besitzenden, insbesondere des Stiefbruders, und in der Unfähigkeit des dem alten Recht verhafteten Rates, der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu ver­helfen.

Die Veränderung der historischen Konstellation verschiebt also die Ge­wichte wesentlich, sie ist auch mit Sicherheit nicht zufällig, wie bei den fontaneschen Romanen und Novellen nichts zufällig ist.

Auf die Absicht, mit der Novelle im Leser etwas zu bewirken, deutet ihre emotionale Tendenz, die stark darauf gerichtet ist, Verständnis für Grete Minde hervorzurufen, das Verhalten des Stiefbruders zu verurteilen, wobei appellartig dem Leser das Gefühl vermittelt wird, hier wurde falsch gehandelt, man hätte Grete Minde anders behandeln müssen, ihr Gerechtig­keit widerfahren lassen müssen.

.Gleichzeitig stellt Fontane aber klar, daß ein karitatives, almosenartiges Helfen erfolglos bleiben muß: Das Angebot der Domina, bei ihr im Kloster eine Heimstatt zu nehmen, wird von Grete Minde nicht angenommen, und zwar aus einer inneren Notwendigkeit heraus, die die Domina selbst auch erkennt'; sie weiß, daß Grete Minde dieses Angebot nicht wahrnehmen wird. Diese Weigerung ist zum einen psychologisch erklärt, als Trotz, und als Ausdruck eines übersteigerten Gerechtigkeitsgefühls.

Andererseits ist die Atmosphäre des Klosters als so anziehend geschildert, daß die Motive des Trotzes und der Gerechtigkeitsliebe allein nicht aus­reichen, um die Ablehnung zu begründen: Ein Element des beginnenden Wahnsinns bei Grete Minde muß auf der psychologischen Ebene dieses Verhalten zusätzlich begründen.

Wenn dieses Verhalten Grete Mindes jedoch stellvertretend für gesellschaft­liche Reaktionen auf das Almosengeben steht, wenn es also aus dem individuellen Rahmen herausgehoben wird, gewinnt die Ablehnung an Plausibilität:

Wenn Grete Minde für die unterdrückten Klassen steht, die nicht durch karitative Maßnahmen befriedet werden können, die nur durch Gerechtig­keit, durch das Zuteilen dessen, was ihnen zusteht, daran gehindert werden können, die alten Gesellschaftsstrukturen gewaltsam zu zerstören, wird klar, daß das Ende in der Idylle des Klosters undenkbar ist.

Die Zerstörung der Stadt Tangermünde symbolisiert den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Gesellschaft. Angelegt ist diese äußerste Konse­quenz bereits zu Beginn der Novelle- in der Zerstörung des Rathauses durch die Puppenspieler: Das jüngste Gericht bricht über die Stadt herein, gebracht durch die Puppenspieler, eine Gruppe von Personen, die von allen herkömmlichen gesellschaftlichen Bindungen frei ist, in dieser Gesellschaft keinen Platz mehr hat oder diesen noch nicht gefunden hat.