Heft 
(1981) 32
Seite
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Untertiteln nicht erfaßbar gewesen und damitdas Eigentliche verloren­gegangen. So kommt es zur Begegnung zwischen Fontane und Film erst im entwickelten Tonfilm der 30er und 50er Jahre und danach auf dem Bild­schirm des Fernsehens. Welche Vorgaben brachte nun speziell Fontane für diese Synthesen mit? Die Ursachen für das Aufgreifen durch Tonfilm und Fernsehen liegen in Fontanes Ästhetik und Gestaltungsweise und im Inhalt seiner Romane. Signifikant für die filmischen Elemente in seiner Ästhetik sind seine Romandefinitionen:Was soll ein Roman? Er soll uns, unter Vermeidung alles Übertriebenen und Häßlichen, eine Geschichte erzählen, an die wir glauben. Er soll zu unserer Phantasie und unserem Herzen sprechen, Anregung geben, ohne aufzuregen; er soll uns eine Welt der Fiktion auf Augenblicke als eine Welt der Wirklichkeit erscheinen, soll uns weinen und lachen, hoffen und fürchten, am Schluß aber empfinden lassen, teils unter lieben und angenehmen, teils unter charaktervollen und inter­essanten Menschen gelebt zu haben, deren Umgang uns schöne Stunden bereitet, uns förderte, klärte und belehrte.''*Aufgabe des modernen Romans scheint mir die zu sein, ein Leben, eine Gesellschaft, einen Kreis von Menschen zu schildern, der ein unverzerrtes Widerspiel des Lebens ist, das wir führen. Das wird der beste Roman sein, dessen Gestalten sich in die Gestalten des wirklichen Lebens einreihen, so daß wir in Erinnerung an eine bestimmte Lebensepoche nicht mehr genau wissen, ob es gelebte oder gelesene Figuren waren... Also noch einmal: darauf kommt es an, daß wir in den Stunden, die wir einem Buche widmen, das Gefühl haben, ur^ser wirkliches Leben fortzusetzen, und daß zwischen dem erlebten und erdichteten Leben kein Unterschied ist als der jener Intensität, Klarheit, Übersichtlichkeit und Abrundung und infolge davon jener Gefühlsintensität, die die verklärende Aufgabe der Kunst ist. 5

Welche realistisch-filmischen Prinzipien sind in diesen Definitionen anti­zipiert? Zunächst einmal das Prinzip des uns berührenden Lebensbildes. Fontane und vielen realistischen Filmen ist die Konzentration auf den repräsentativen zeitgenössischen Lebensausschnitt gemeinsam. Dieses Lebensbild wird von Fontane wie vom realistischen Film unmerklich stilisiert, unmerklich transformiert geliefert. Beim Film wird diese unmerkliche Stilisierung durch die Kameraeinstellung und durch den Schnitt erreicht, bei Fontane vor allem durch die Sprachgestaltung, über die Friedrich Spielhagen schrieb:Zu den Errungenschaften der modernen Erzählungskunst gehört mit in erster Linie, daß man die Sprechweise der Personen möglichst der, welche sie im wirklichen Leben haben würden, anzunähern sucht. Ich kenne keinen modernen Erzähler, der es darin weiter gebracht hätte als Fontane. Nicht als ob er jedes Stammeln und Stottern der natürlichen Rede nachbildete, jeden lapsus linguae! Aber er gibt die Quintessenz der Alltagssprache, sie so unmerklich stilisierend, daß jeder Leser schwören möchte: so und nicht anders müssen diese Menschen bei der betreffenden Gelegenheit, in der betreffenden Stimmung gesprochen haben. Und je nach dem Stand seiner Bildung, der Veranlagung seines Qharakters, der Besonderheit seines Temperaments spricht jeder seine besondere Sprache. So fein und so sicher nuanciert aus dem Zusammen-

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