Heft 
(1981) 32
Seite
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Mit der Verfilmung vonFrau Jenny Treibei durch die DEFA (1951) unter dem TitelCorinna Schmidt begann die filmische Fontane-An­eignung in der DDR. Unmittelbar vorangegangen war die meisterhafte filmische Umsetzung desUntertan durch Wolfgang Staudte. Das Auf­greifen vonFrau Jenny Treibei entsprach sowohl der einsetzenden, von Georg Lukäcs inspirierten Fontane-Pflege wie dem Bestreben, sozial ein­deutige realistische Literatur zur weiteren geschichtlichen Volksaufklärung ins Bild zu setzen.Frau Jenny Treibei als sozial genau markierende Romankomödie empfahl sich da unter den Romanen Fontanes besonders nachdrücklich. Außerdem war sie eine ironisch-satirische Vorstufe zum gerade optisch umgesetztenUntertan und garantierte Kontinuität. Allein Fontanes Roman war damals sozialhistorisch offenbar noch nicht informativ genug. So wurde er im Lichte der weiteren geschichtlichen Erfahrungen z. T. korrigiert bzw. weitergeführt. Die Korrektur betraf vor allem das Verhältnis Jenny Treibei Corinna. Die Initiative der Handlung geht auf Corinna über. Sie ist es, die schließlich auf die Ehe mit Leopold verzichtet, auf der im Film Treibeis bestehen zu müssen glauben, nachdem Vogelgang aus Rache an ihnen das Verlöbnis bereits bekannt gemacht hat und man eine erneute Blamage der Familie vermeiden muß. Die epische Weiter­führung ergibt sich vor allem aus dem Anschluß Marcel Wedderkopps an die kämpfende Sozialdemokratie und aus dem Bekenntnis Corinnas zu ihm. An dieser Stelle kann man nicht umhin, die Bearbeitung vonFrau Jenny Treibei für die Bühne durch Claus Hammel (1963) einzubeziehen. Auch er mißtraut leider Handlung, Dialog und Figurencharakteristik bei Fontane und glaubt noch immer, soziologisieren zu müssen. Während der Film den Roman episierend weiterdichtet, konzentriert ihn Hammel dramatisch. Während der Film Corinna zur großen Entwicklungsgestalt ausbaute, läßt Hammel sie zur kleinen Entwicklungsfigur werden. Erst relativiert er sie borniert-elitär bürgerlich, danach gibt er ihr doch noch die Möglichkeit zur Absage an die Treibeis. Das Mittel dazu ist das neu eingeführte Dienst­mädchen Luise, die Jenny zur Triebbefriedigung für Leopold ins Haus genommen hat, was dann auch wirklich zunatürlichen Konsequenzen führt, umSchach von Wuthenow zu zitieren. Corinna, selbst auf Leopold spekulierend, weist das Dienstmädchen zunächst zurück. Danach engagiert sie sich für es und entsagt der Treibelei.

Beide Möglichkeiten, die episch-soziale Erweiterung wie die dramatisch­soziale Inversion, haben ihre eigene Logik, sind auf ihre Weise folgerichtig und aussagekräftig. Die episch-soziale Weiterführung entspricht der wei­teren historischen Entwicklung und dem Wesen des Films als primär epischer Gattung. Die dramatisch-schwankhafte Konzentration entspricht geistig der Weiterentwicklung des kritisch-realistischen Dramas um die Jahrhundertwende durch Frank Wedekind, Carl Sternheim, G. B. Shaw und Gabriela Zapolska (Die Moral der Frau Dulski!!), das die sozialen Bezüge des Naturalismus nicht weiterführen konnte und sich auf die Enthüllung innerbürgerlicher Widersprüche und leicht realisierbare traditionelle Bühnenmöglichkeiten beschränkte. Dem Geiste Fontanes und zugleich den Bedürfnissen des sozialistischen Menschenbildes

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