Mit der Verfilmung von „Frau Jenny Treibei“ durch die DEFA (1951) unter dem Titel „Corinna Schmidt“ begann die filmische Fontane-Aneignung in der DDR. Unmittelbar vorangegangen war die meisterhafte filmische Umsetzung des „Untertan“ durch Wolfgang Staudte. Das Aufgreifen von „Frau Jenny Treibei“ entsprach sowohl der einsetzenden, von Georg Lukäcs inspirierten Fontane-Pflege wie dem Bestreben, sozial eindeutige realistische Literatur zur weiteren geschichtlichen Volksaufklärung ins Bild zu setzen. „Frau Jenny Treibei“ als sozial genau markierende Romankomödie empfahl sich da unter den Romanen Fontanes besonders nachdrücklich. Außerdem war sie eine ironisch-satirische Vorstufe zum gerade optisch umgesetzten „Untertan“ und garantierte Kontinuität. Allein Fontanes Roman war damals sozialhistorisch offenbar noch nicht informativ genug. So wurde er im Lichte der weiteren geschichtlichen Erfahrungen z. T. korrigiert bzw. weitergeführt. Die Korrektur betraf vor allem das Verhältnis Jenny Treibei — Corinna. Die Initiative der Handlung geht auf Corinna über. Sie ist es, die schließlich auf die Ehe mit Leopold verzichtet, auf der im Film Treibeis bestehen zu müssen glauben, nachdem Vogelgang aus Rache an ihnen das Verlöbnis bereits bekannt gemacht hat und man eine erneute Blamage der Familie vermeiden muß. Die epische Weiterführung ergibt sich vor allem aus dem Anschluß Marcel Wedderkopps an die kämpfende Sozialdemokratie und aus dem Bekenntnis Corinnas zu ihm. An dieser Stelle kann man nicht umhin, die Bearbeitung von „Frau Jenny Treibei“ für die Bühne durch Claus Hammel (1963) einzubeziehen. Auch er mißtraut leider Handlung, Dialog und Figurencharakteristik bei Fontane und glaubt noch immer, soziologisieren zu müssen. Während der Film den Roman episierend weiterdichtet, konzentriert ihn Hammel dramatisch. Während der Film Corinna zur großen Entwicklungsgestalt ausbaute, läßt Hammel sie zur kleinen Entwicklungsfigur werden. Erst relativiert er sie borniert-elitär bürgerlich, danach gibt er ihr doch noch die Möglichkeit zur Absage an die Treibeis. Das Mittel dazu ist das neu eingeführte Dienstmädchen Luise, die Jenny zur Triebbefriedigung für Leopold ins Haus genommen hat, was dann auch wirklich zu „natürlichen Konsequenzen“ führt, um „Schach von Wuthenow“ zu zitieren. Corinna, selbst auf Leopold spekulierend, weist das Dienstmädchen zunächst zurück. Danach engagiert sie sich für es und entsagt der Treibelei.
Beide Möglichkeiten, die episch-soziale Erweiterung wie die dramatischsoziale Inversion, haben ihre eigene Logik, sind auf ihre Weise folgerichtig und aussagekräftig. Die episch-soziale Weiterführung entspricht der weiteren historischen Entwicklung und dem Wesen des Films als primär epischer Gattung. Die dramatisch-schwankhafte Konzentration entspricht geistig der Weiterentwicklung des kritisch-realistischen Dramas um die Jahrhundertwende durch Frank Wedekind, Carl Sternheim, G. B. Shaw und Gabriela Zapolska („Die Moral der Frau Dulski“!!), das die sozialen Bezüge des Naturalismus nicht weiterführen konnte und sich auf die Enthüllung innerbürgerlicher Widersprüche und leicht realisierbare traditionelle Bühnenmöglichkeiten beschränkte. Dem Geiste Fontanes und zugleich den Bedürfnissen des sozialistischen Menschenbildes
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