entspricht nach meiner Ansicht nur die Filmversion. Sie kann Fontanes Bekenntnisse zum vierten Stand, seine theoretische Bejahung der Sozialdemokratie für sich beanspruchen. Claus Hammel trägt dagegen, auch durch die Gestalt der Hildegard Munk, in „Frau Jenny Treibei“ ein vitalistisches Element hinein, das zwar in der weiteren Entwicklung der Bourgeoisie immer deutlicher geworden ist, das Fontane jedoch wesensfremd, mit seiner Geistigkeit und Dezenz nicht vereinbar ist und das darüber hinaus auch unter dem Niveau des sozialistischen Menschenbildes liegt. Eine solche sexualisierende Lesart, mag sie durch den moralischen bourgeoisen Verfall noch so sehr gedeckt sein, beleidigt gleichermaßen Fontane wie den sozialistischen Rezipienten. So verwundert es nicht, daß die Schauspielerin Friedei Nowack, die großen realistischen Theatertraditionen verpflichtet ist und die im Berliner Gorki-Theater der Dramatisierung des Romans durch Claus Hammel mit zur erfolgreichen Uraufführung verhalf, auf die Bearbeitung von Fontanes Roman für die Bühne zunächst sehr überrascht und kritisch reagierte. Sie hat dann nach meiner Ansicht auf der Bühne zur Nobilitierung Fontanes beigetragen, im Unterschied zu Gisela May, die in der von Adlershof am 1. 1. 1976 gesendeten Fernsehfassung die obszöne Tendenz in der Gestalt Jennys, gewissermaßen in Annäherung an „Frau Warrens Gewerbe“ von G. B. Shaw, weiter verstärkte. Hammels Dramatisierung ist eine vital-komödiantische Annäherung von „Frau Jenny Treibei“ an das kritisch-realistische Drama am Jahrhundertbeginn, der DEFA-Film „Corinna Schmidt“ ist dem russischen kritischen Realismus und dem sozialen deutschen Naturalismus und damit auch Fontane selbst stärker verpflichtet, der dort Quellen seiner eigenen ideellästhetischen Kraft gefunden hatte.
Als das Fontane gemäßeste Medium erweist sich seit den 60er Jahren der Bildschirm des Fernsehens. Der relativen Intimität des „Hauskinos“, der Möglichkeit zum Dialog und zur Großaufnahme des Gesichts usw., kommt Fontane auf vielfache Weise entgegen: durch die übersichtliche und relativ private Handlung, durch die transparente balladeske Struktur, den begrenzten Personenkreis, die große Bedeutung der Gespräche, die leisen Töne, kurzum: durch die verinnerlichte, symbolische gesellschaftliche Totalität. So sind „Irrungen, Wirrungen“ und „Schach von Wuthenow“ durch das Fernsehen in beiden deutschen Staaten verfilmt worden.
Die Verfilmung von „Irrungen, Wirrungen“ durch das Fernsehen der DDR (1963) konzentrierte sich im Unterschied zum Kinofilm „Corinna Schmidt“ ganz auf den balladesken Roman und erzielte dadurch offenbar tiefe Wirkungen: „Renate Zuchardt überzeugte mit ihrer gut gelungenen, weil einfühlsamen Dramatisierung sicher auch die Skeptiker. So unwahrscheinlich es klingen mag: Das war ein echter Fontane! Was durch die notwendige Straffung in vielerlei Hinsicht verlorgenging, blieb dem Wesensgehalt nach in erstaunlich hohem Maße in der dramatischen Form erhalten. Die zarte, feinsinnig erzählte Liebesgeschichte zwischen dem preußischen Kürassierrittmeister Botho von Rienäcker und der Plättmamsell Lene Nimptsch, die an den Klassenschranken zerbricht, hat kaum etwas von ihrer Schönheit eingebüßt. Die fontanischen Gestalten sind echt, prägnant, genau akzen-
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