Heft 
(1981) 32
Seite
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Theater Prags, die in der europäischen Bühnenwelt hohes Ansehen genos­sen, die besten Schauspieler und Sänger deutscher Zunge waren von ihm entdeckt und gefördert worden [...]

Angelo Neumanns Direktionsloge war eine Bühne für sich. Punkt sieben Uhr abends erschien er dort, ein pere noble, mit pechschwarz gefärbtem Haar und Schnurrbart, schwarzem Anzug und schwarzer Krawatte, maß aufrecht stehend, mit lang anhaltendem Blick, den Zuschauerraum vom Parkett bis zur Galerie, und dann erst gab er das Zeichen, nein, die Erlaub­nis zum Beginn der Vorstellung. Neben ihm saß sein Stiefsohn, ein schöner Knabe, in der Kadettenuniform der Adelsakademie, der wohl kaum ahnte, daß die auf die Loge gerichteten Operngläser ihm galten und warum sie ihm galten. Bei Neuinszenierungen hatte Angelo Neumann außerdem den Chefredakteur Teweles an seiner Seite, bei den Opern den Prager Abt Alban Schachleitner und dessen Koadjutor Graf Galen.

[...] In Graf Galens Ohr gingen die ehrgeizigen Pläne des Erzherzogs Franz Ferdinand, und Graf Galens Lippen hielten sie verschlossen. Dieser junge Mann in der Loge kannte Europas Zukunft und seine eigene Zukunft, denn menschlichem Ermessen nach mußte das Beichtkind bald Kaiser von Öster­reich und der Beichtvater Erzbischof von Wien werden.

[...] Seit dem Selbstmord des Kronprinzen Rudolf war Erzherzog Franz Ferdinand österreichischer Thronfolger, aber auch Angelo Neumann war Nachfolger des Kronprinzen Rudolf und zwar durch seine Frau, die ver­witwete Gräfin Török. Sie hieß auf dem Theaterzettel .Johanna Buska' und im Privatleben ,Frau Gräfin 1 , jedoch niemals, niemals ,Frau Neu- mann. [...]

Bevor Johanna Buska Frau Gräfin oder gar die Gattin Angelo Neumanns wurde, hatte sie zum Ensemble des Wiener Burgtheaters gehört, und Kron­prinz Rudolf begann sich für die gertenschlanke Schauspielerin mit den wunderbar langen Augenwimpern und dem wunderbar langen Haar auf­fallend zu interessieren. Kaiser Franz Joseph, selbst mit einer Kollegin der Buska, der Hofschauspielerin Katharina Schratt liiert, duldete so etwas nicht. Sein Sohn mußte Wien für einige Zeit verlassen, und der kaiserliche Obersthofmeister Fürst Montenuovo übermittelte dem altersschwachen ungarischen Feldmarschalleutnant Graf Török den Allerhöchsten Befehl, Fräulein Buska zu heiraten. Knapp nach der Hochzeit und noch knapper vor seinem Tode schenkte die junge Gräfin ihrem Gatten einen männlichen Leibeserben. [...]

[...] Frau Buska und ihr Sohn erbten die Generalspension, die nicht aus der Privatschatulle der Habsburger, sondern vom Militärärar ausbezahlt wurde. Johanna Buska durfte sich Frau Gräfin nennen, auch nachdem sie Angelo Neumann geheiratet. Ihr Sohn war Graf. Und wenn sich im Prager Theater alle Operngucker in die Direktionsloge bohrten, so geschah es immer wieder um der Feststellung willen, der Junge sei dem Kronprinzen Rudolf wie aus dem Gesicht geschnitten.

Bei der Mutter des Knaben hingegen wollte man Ähnlichkeiten mit der Baronesse Vetsera entdecken, die ihre Nachfolgerin im Herzen des Kron­prinzen geworden und mit ihm in den Tod gegangen war ." 8

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