Heft 
(1981) 32
Seite
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andern die Urteilsfärbung voran... 7 Gottfried Benn notierte während des Zweiten Weltkrieges über Fontane:Um midi dem Preußentum und seinem Wesen auch von der guten Seite aus zu nähern, las ich Fontane. Gleichzeitig wollte ich überprüfen, warum mir dieser Autor, außer in einigen Balladen, immer gegen mein Empfinden war. Es ergab sich: es ist das Pläsierliche. Dies Pläsierliche, das nicht identisch ist mit Happyend, und mit dem sich wirklich witzige Bemerkungen, echte humoristische Sätze, tatsächlich geistreiche Pointen gut vertragen und doch als Ganzes, als existenzieller Stoff medioker bleibt. Dieser Autor hat Sicherheit, Kontur und Überlegenheit, er wird mit seinem Thema fertig, er ist innerhalb der deutschen Romaninferiorität eine große Leuchte, er ist vaterländisch, ohne dumm zu sein, er ist märkisch und trotzdem betreibt er das Geschäft der Musen, aber dies Pläsierliche, das das ganze epische Oeuvre durchspinnt, vielmehr trägt und bindet, entzieht ihm den Rang. Es tritt so sehr hervor in jedem seiner Sätze, in jeder seiner weltanschaulichen und politischen Äußerungen, daß es ganz offensichtlich für ihn das Mittel war, um zum Ausdruck zu gelangen, das Mittel, mit dem er allein seine märkische Welt erfaßte... 8 Obgleich die zitierten Äußerungen aus verschiedenen Zeiten stammen, sind sie verwandt. Döblin und Benn verurteilen an Fontane das realistische Maß, die realistische Dialektik und Verbindlichkeit. Benn ver­harmlost trotz Anerkennung künstlerischer Fähigkeiten Fontanes dessen urbane Causerie zumPläsierlichen. Fontanes weit- und geschichtsoffene Gesprächskunst, Element realistischer Überwindung naturalistischer Aus­determiniertheit, wird von nihilistisch-biologistischer Position aus banali­siert und zurückgenommen. Döblin ging in der Zeit des Spätexpressionis­mus noch weiter. Er reduzierte Fontane zum Repräsentanten von Juste-Milieu-Mediokrität, zum Spießergenuß. Dabei hatten doch beide expressive Autoren Grund, in Fontanes beispielhafter subjektiver Durch­dringung des Objektiven einen Wegbereiter des eigenen künstlerischen Ausdruckswillens zu sehen. Nur besaß eben Fontane nicht ihreWildheit undExplosivität. Neben der Einheit von Darstellung und Urteil hätte Döblin als Anwalt einer von der lebendigen Sprache her erneuerten Epik in Fontane den Vorläufer des redenden, gesprochenen Romans wahrneh- men und würdigen müssen. Döblin und Benn sehen nicht einmal die formalen, technischen Vorleistungen Fontanes, ganz abgesehen von der Erfassung seiner echten inhaltlichen Radikalität.

Robert Minder wertet den Aufstand der Expressionisten gegen Fontane ~ hier wäre der gegen Thomas Mann einzuschließen alszeitbedingtes Phänomen (S. 108) und spricht vonFehlurteilen (S. 170). Gleichzeitig sieht er Übergänge zwischen Fontane undBerlin Alexanderplatz und vor allem zur Alterslyrik Gottfried Benns. Er deckt überraschende moti­vische und stilistische Parallelen zwischen Fontanes Alterslyrik und den späten Gedichten Benns auf:Ein bestimmter Plauderton hat in der Lyrik Benns die gleiche revolutionäre, desillusonierende Funktion wie in Heines Gedichten und Fontanes Gesellschaftsromanen ... Wie Verwandtschaftszüge ina Alter plötzlich auch physiognomisch hervortreten, so eine innere Ver­wandtschaft des gealterten Benn mit dem alten Fontane. Benns letzte

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