um eine nicht gewöhnliche, dennoch verbindliche Konfession gehandelt habe.“ (S. 74)
Die Darstellung besitzt einen hohen Informationswert und beleuchtet den verwendeten Stilbegriff vielseitig: inhaltlich, funktional, in Abgrenzung von anderen Genres (Essay, Feuilleton) und vor allem als bei F. selbst in Wandlung begriffen. Fast 60 Jahre liegen zwischen den ersten und letzten Korrespondenzen. Verschiedenheit der Anlässe, der Partner, der Themen nähmen dabei zu. Und dennoch ist sich Verf. mit Jolles (vgl. A 6) u. a. einig, daß journalistische, künstlerische und Brieftexte des Dichters „zu einem Gewebe von so ungewöhnlicher Einheit“ (S. 76) verschmolzen sind, daß man sie leicht als „Fontanisch“ zu erkennen vermag. Worin besteht diese Einheit?
N. antwortet zunächst mit Th. Mann, E. Bertram, K. E. O. Fritsch, H. H. H. Remak, G. Erler, W. Müller-Seidel und zeitgenössischen Autoren. Auch das Selbstverständnis Fontanes vom Briefeschreiben wird herangezogen. Solche bekenntnisartigen Aussagen bilden den Auftakt zu Nürnbergers Gruppierungsversuchen. 5 000 bekannte, 8 000 bis 10 000 geschätzte Briefe sind zu klassifizieren, darunter die Verlegerkorrespondenz, die Dichterrepräsentationskorrespondenz, Briefe mit Vorentwürfen (Prosaübungen), Briefe aus privatestem Anlaß, kleinste Stimmungsberichte und ausführliche Charakteristiken. N. geht umsichtig und sehr methodisch an diese Aufgabe, indem die Inhalte, die Leserinteressen und der Adressatenbezug beachtet werden (S. 66-68). Und da diese wechselnden Aspekte insgesamt einem Abriß der Wirkungsgeschichte integriert sind (Wendepunkte: 1905, 1940, 1954) wird das Material untereinander und zum Romanwerk in Beziehung gesetzt. Man versteht, daß N. seine Klassifizierung offenhalten muß. Indem Verf. die alte Frage aufgreift, wo sich der „eigentliche“ Fontane wirklich ausgesprochen habe (mehr in Briefen, mehr in Romanen), polemisiert er nicht vordergründig gegen Brinkmann u. a. (der strenge Zeitgenosse, der versöhnliche Dichter), sondern schlägt er vor, die Übergänge zu untersuchen, die je spezifische Einbettung der Briefe. Gattungspoetologische Studien fehlten, und für N. ist der „Briefstil“ auch noch immer eine Frage der Edition, für die er eine umfassende Bibliographie aller Sammelzentren fordert. In Übereinstimmung mit einer Tutzinger Tagung zur Edition (1975) verweist er auf die zentralen Untersuchungsaufgaben, die im Zusammenhang mit der Edition zu stellen und zu beantworten wären: Ob Briefe eine Ersatzfunktion für mangelnden Kontakt mit der Öffentlichkeit hatten, ob sie ein Mittel zur Klärung der eigenen Position waren, ob sie in besonderem Maße der Vorformulierung des eigenen Werkes dienten. N’s. Vorschläge gehen noch weiter (vgl. S. 74), weil er die textkritische Edition der Gesamtkorrespondenz im Auge hat. Und er bleibt zugleich nahe bei den Intentionen des Dichters, wenn er dessen Brief an Hanns Fechner zitiert (3. 5. 1889): „... in meinem eigensten Herzen bin ich geradezu Briefschwärmer und ziehe sie, weil des Menschen Eigenstes und Echtestes gebend, jedem anderen historischen Stoff vor. All’ meine geschichtliche Schreiberei, auch in den Kriegsbüchern, stützt sich im besten und wesentlichen immer auf Briefe.“
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