Heft 
(1981) 32
Seite
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in die Marktmechanismen und die Taktik, die Autoren und Kritiker wähl­ten, um diese Mechanismen zu unterlaufen.

Sein Resümee sei ausführlich zitiert:Von einer ,Kritikoffensive (Flicke) der .Zwanglosen* kann man nach unserer Bestandsaufnahme nur bedingt sprechen. Soweit wir wissen, handelte es sich schließlich lediglich um fünf Rezensionen des Jahres 1888 ...

Die Zwanglosen-Kritiker zielten nicht auf Breitenwirkung, sondern auf die Rezeption durch ein gemäßigt liberales, literarisch gebildetes Lesepublikum. Ihre Motivierungen sind in ihren persönlichen Beziehungen zu Fontane, aber auch in der Anerkennung der künstlerischen Qualität seines Romans zu sehen. Ihre Strategien reichen von der ausdrücklichen Zurückweisung der sittlichen Entrüstung des Lesepublikums über den Vorabdruck bis zur Reklamierung Fontanes als ,.Konservativsten (vgl. Schlenther, Brahm), von der Abgrenzung des Fontaneschen Romans gegen den naturalistischen (Zola) und ,Trivial-Roman (Marlitt) sowie gegen Schablonen des Berliner Romans (vgl. Hessen, Waldberg) bis zur Assoziierung Fontanes mit den deutschen Klassikern Goethe (vgl. Brahm) und Schiller (vgl. Hessen) oder seines Romans mit seinenWanderungen durch die Mark Brandenburg (vgl. besonders Brahm, Hessen), von der Abgrenzung Lenes gegen Ibsens .freie* Frauen (vgl. Schlenther, Brahm) und sogar gegen die Heldin (Melanie van der Straaten) des Fontaneschen Ehebruchromans .LAdultera* (vgl. Schlenther) bis zur Assoziierung des Liebesverhältnisses zwischen Lene und Botho mit der tragischen Liebesnovelle Theodor Storms ,Aquis submersus* (vgl. Hessen), von der bewußten Vermeidung gesellschaftkritischer Analyse bis zur ästhetisierenden Betrachtung des Kunstwerkes ,an sich* (vgl. Pniower ,Brahm). Daß. die ,Zwanglosen-Kritiken im Vergleich zu den gesellschaftskritischen Beobachtungen der Naturalisten Maximilian Harden (,Die Nation* vom 28. Dez. 1889) und Conrad Alberti (,Die Gesellschaft* vom 29. Dez. 1889) .traditionell* wirken, wie Jürgen Jahn meint (Aufbau-Aus­gabe, Bd. 5, S. 554), ist nicht zu leugnen. (S. 274 f.)

Gerade aber der Kontext, die ganze Breite solcher Unterstützungsaktionen, macht jenes Gefüge sichtbar, das die Wertung und Aufnahme von Literatur steuerte. Und es ist nicht schwer, sich vorzustellen, welcher Wert der Forschung geleistet würde, hätten wir zu allen größeren Werken des Dichters diese Kommentare. Rezeption und Produktion bedingen sich wechselseitig, und könnten wir solche Modelle mit der Verlegerpolitik konfrontieren, entstünde nicht nur ein historischer Aufriß für des Dichters Wirken, wir wüßten mehr über die Bedingtheit unserer eigenen Urteile, wenn nicht gar Vorurteile. Texte für sich besitzen keine ewig gültigen Wahrheiten (sie sind Medien der Kommunikation und verändern ihren Gehalt mit dieser) nicht weniger bedingt kommt das Bild des Dichters zustande. Dazu haben nicht unwesentlich die Lesebücher beiget-ragen.

Mit Minder meint U. Tontsch, die Autorin des letzten Beitrages:Sie spiegeln und sie prägen. (S. 282) Rezeptionslenkung durch Lesebücher aufzudecken, ist Ziel der Studie,Wertungsvorgänge..., bei denen die gesellschaftlichen Interessen der jeweiligen Vermittlungsinstanz zu berück­sichtigen sind. (S. 283)

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