Jahren geschehen wäre: wir fühlen zu sehr den Abstand, der uns von jenen achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, jener Zeit des Rationalismus, trennt. So wenig Fontane etwa nur durch diese Zeit bezeichnet wird, so haftet doch seinem Urteil oft etwas an von jener letzten Fremdheit gegenüber künstlerischen Dingen, die ihr Charakteristikum war. Der Begriff des dichterischen Stiles ist ihm in seiner vollen Weite nicht aufgegangen, so viel Feines er auch oft über Aufbau und Sprachbehandlung zu sagen weiß. Aber allen Bedenken zum Trotz entzückt uns immer wieder die Freiheit und die gesunde Sicherheit seines Urteils aller aufgepufften Sensationsmache und aller Modegröße gegenüber, die Unbeirrbarkeit des Empfindens in allem, was Menschenschilderung heißt. Vieles, was die Kritiken Fontanes unpersönlicher gaben, erleben wir hier im Pulsschlag spontaner Aeußerung: so die Freude dieses alten Mannes an Hauptmanns junger Kraft und das zwischen Abneigung und energischer Verteidigung gegen Philistereinwände schwankende Urteil über Ibsen. Daß Fontane zu den ganz Großen der Kunst wenig starke Beziehungen hatte, das zeigen diese Briefe wieder, und sie erklären es zugleich historisch.
Was war Fontanes Verkehr in den Jahren, in denen der Mann geistige Substanz gewinnt? Der „Berliner Tunnel“, eine gutmeinende Literaturgesellschaft, deren Mitglieder Fontane selbst in seinen Erinnerungen nach der menschlichen Seite hin amüsant genug charakterisiert hat. Trotz einzelner berühmter Namen (Menzel, Storm) doch im wesentlichen — die Meistersinger von Berlin. Lauter dichtender Mittelstand, vom Geheimrat bis zum Bäckergesellen. Bestenfalls ein Epigonentalent wie Heyse, der zwar nicht zu dem ganzen Kreise paßt, aber doch als größte Begabung bewundert wird. Die Art, wie man sich hier wohl auf die Großen berief, mag angetan gewesen sein, ein selbständiges Naturell mit Mißtrauen gegen Klassikerbewunderung zu erfüllen. So viel auch z. B. von Fontanes Stellung zur italienischen Kunst in seiner persönlichsten Anlage wurzelt: es ist doch etwas Opposition gegen die klassizistische Haltung des Kugler-Heysekreises darin, eine Scheu vor Schablonenurteilen in der Zeit, als er sich schon seiner begrenzten Eigenart bewußt ist. In dieser Eigenart mag ihn das Fernbleiben von großen Einflüssen gefestigt haben, seinen Kunsturteilen nimmt dieser Mangel einer artistischen Erziehung aber oft die Sicherheit der Maßstäbe, so daß er Inkommensurables (Zola und Heiberg!) in seinem Urteil nebenanderhält. Aber vor dem zweiten Briefbande will kein Bedenken mehr recht standhalten. Denn hier ist etwas, das viel mehr wert ist als kluge Worte über Kunst. Jede dieser Aeußerungen gehört zu einer ganz persönlichen Haltung, weist auf ein kernhaftes Dasein. So genießen wir sie: als die Offenbarung einer Menschlichkeit, in der nichts mehr zufällig ist, sondern alles organisch bedingt. So vielfach begrenzt diese Menschlichkeit ist, so wenig ihr Größe zugesprochen werden darf — sie ist doch das Bleibende in der Produktion Fontanes. Im ersten Briefbande erscheint das Erlebte etwas zu sehr als Rohstoff, nicht überall neugeschaffen durch die Betonung, die der Erlebende ihm gibt. Im zweiten Band ist das anders. Der alte Fontane, seiner selbst in vielfachen Aeußerungen gewiß geworden, verschenkt sein Wesen jetzt freigebig bei jedem Anlaß.
13