Wenn der Kreis, in dem er aufwuchs, nach diesen Briefen zu urteilen für sein inneres Wachstum nichts ganz Wesentliches bedeutete — einen unschätzbaren Dienst hat er ihm geleistet: er hielt ihn in der Zeit gehetzten Broterwerbs bei Selbstgefühl und brachte während öder Zeiten ihn doch immer wieder mit der Kunst in Berührung. Fontane schätzt dies im Alter ab in seiner skeptisch-wägenden Art. „So kam es, daß ich trotz meiner jämmerlichen Lebensgesamtstellung jeden Sonntag nachmittag von 4—6 richtig untergebracht war, nämlich im Tunnel. Dort machte man einen kleinen Gott aus mir. Und das hielt mich“. Man spürt die leise Ironie bei aller Dankbarkeit, vor allem aber die Selbstironie, diese Worte klingen beinahe tonfällig an eine Prachtstelle in seiner Novelle „Mathilde Möh- ring“. Dort wird die Bedeutung eines einmal erlauschten Komplimentes: „sie hat ein Gemmenprofll“, für die im Leben dem Avancement dienende Heldin zusammengefaßt in den lapidaren Satz: „Von diesem Worte lebte sie“. Die Lebenslüge ins Heiter-Fontanische übersetzt. Alles ganz gut, aber etwas wenig als fast einzige Anregungsquelle für lange Jahre! Die Berührung mit einem wirklichen Dichter, mit Theodor Storm, ruft denn auch eine Lebhaftigkeit hervor, die von der empfangenen Anregung zeugt. Fontanes Denken über Kunst, besonders über Lyrik, gewinnt viel dabei. Sicher hat er auch für manche lyrische Wirkung seiner Novellen von Storm gelernt. Doch nur zu Austausch und Anregung gedieh der Verkehr, nicht zu entschiedener Beeinflussung. Gegen Storms lyrische Konzeptionsreife auch in der Novelle verhielt sich der Epiker in Fontane in der Hauptsache ungelehrig. „Meine Neigung“, schreibt der Balladendichter, „und wenn es erlaubt ist, so zu sprechen, meine Force ist die Schilderung. Am Innerlichen mag es zuweilen fehlen. Das Aeußerliche hab ich in meiner Gewalt. Nur so wie ich die Geschichte als Basis habe, gebiet ich über Kräfte, die mir sonst fremd sind ... Das Lyrische sicherlich ist meine schwächste Seite, besonders dann, wenn ich aus mir selber und nicht aus einer von mir geschaffenen Person heraus dies oder das zu sagen versuche“. — Aber hier war doch auch das Menschliche im Wege. Die Briefe illustrieren manches, was Fontane in seinem Buche „Von Zwanzig bis Dreißig“ andeutet. Was die Intimität hinderte, war, daß Fontanes ehrliche Nüchternheit nicht vertrug, das Poetische, wie er es bei Storm argwöhnte, auch als „Schönheitsmittel“ des Lebens verwendet zu sehn. Er, dessen kritische Natur die Menschen bevorzugt, die sich selbst preiszugeben verstehn, belächelte das etwas zu wohlige Schwelgen in Heimatpoesie, Hauspoesie und Genuß an der eigenen Dichternatur. Storm beklagt sich über Fontanes Art, bei erotischen Thematen „freiweg“ zu reden, das ruft eine bei allem sich anbequemenden Entgegenkommen sehr superior lächelnde Abwehr Fontanes hervor. Daß er so antworten durfte, lag an der durch innere Kühle garantierten Unbefangenheit, die Fontane - bekanntlich stets geneigt, das Erotische witzig-ungeniert zu behandeln - in Wahrheit all diesen Dingen gegenüber besessen hat. In diesen Briefen, wie überall, zeigen gerade die drastischen Scherze einen völlig unsinnlichen Menschen, der als guter Lebensbeobachter recht wohl um die Bedeutung des Erotischen weiß, aber, ohne starkes Erlebnis, sich nur die witzige Seite der Angelegenheit reserviert hat. Von schwacher Sinnlichkeit aber war Fontane noch in einem viel
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