bedeutsameren Sinne. In dem Sinne, der das Verhältnis des schauenden Menschen zum Leben bestimmt. Und wie seine Sinnlichkeit fein aber ohne jedes Elementarische war, so war sein Ethos zart, edel, aber ohne Leidenschaftlichkeit. Man hat so oft gesagt, daß der Rhythmus seiner Tage seine Lebensanschauung bestimmt habe, das lange im Schatten-Stehen, die Enge der Verhältnisse, die Familienkonflikte, der Zwang des Broterwerbs bei heimlicher Künstlersehnsucht, die Schwäche der Nerven — im Alter als unbezwingliche Müdigkeit erscheinend, und er selbst hat es so gesehen. Auch diese Briefe schildern das wieder mit einer besonderen Kunst, aus dem trivialsten Lebensdetail witzige Sinnbilder selbstironisierend zu gewinnen: er sei „ins Leben getreten, mit nichts ausgerüstet als mit einem poetischen Talent und einer schlecht sitzenden Hose (auf den Knieen immer Beutel)“. Aber die Gesinnung, die ihn bezeichnet, kam doch nur dadurch zustande, daß dieser Lebensgang eine tiefe Anlage bestätigte und so allmählich mehr als der Ausdruck eines Charakters wirkt denn als seine U rsache. Mit einer unleidenschaftlichen und zugleich empfindlich vibrierenden Natur verschmolz dieser Lebensgang zu einer Lebenshaltung. So wurde „das Fontanesche“. Zum Heitersein war er mehr berufen als zur Freude, er litt an den Dingen, aber er wand sich nicht darunter. Dieser Erregbare war selten aufgewühlt. Schon als Dreißigjähriger weiß er gescheiterte Hoffnungen mit einem „es ist ja natürlich, daß es so ist“ einzuordnen. Von solcher Unleidenschaftlichkeit ist jene kühl witzige Interessierheit am Erotischen nur das Symptom auf einem Lebensgebiet. Es ist charakteristisch, daß er, der so oft den Ehebruch schildert, nie die Selbstvergessenheit gibt, immer das Nachgeben der Seele: „Die Rüstung ihres Geistes ... lockerte sich und löste sich und fiel“. Das sagt er noch in seiner ersten unvollkommenen Ehegeschichte, später ist es das, was er aufs feinste gestaltet. Das bezeichnet jedoch durchaus nicht nur seine Auffassung der Liebe, sondern ist typisch für seine gesamte Konzeption der menschlichen Dinge. Es darf nicht beirren, daß der Balladendichter die typische Linie eines leidenschaftlichen Lebens in „John Monmouth“ so zu zeichnen weiß. Hier war die äußere Projektion in Ereignisandeutungen, bailadenhaft hingetupfter Situation zu geben von dem, was als Gewoge inneren Lebens er nicht hätte in Worte bringen können. Er brauchte nicht in die Seele selber zu steigen, die leidenschaftlich ist. In seiner Erzählung moderner Alltagsereignisse dagegen wäre er verlegen vor diesem Stoff. — Der Mangel an jeder Wildheit in seiner Natur ist aber nur die eine Ursache seiner Lebenshaltung. Man darf ja nicht glauben, daß er im Leben je der beschaulich-resignierte Weise geworden sei wie der alte Stechlin. Auch ganz zuletzt lebte er das nicht. Die Briefe zeigen, wie ihn alle Hemmungen bis zuletzt verstimmen, ja verärgern können. Und Worte voll Menschen- und Weltverachtung, Aeußerungen heftiger Antipathie sind nicht ganz selten. Denn so wenig leidenschaftlich er ist, so erregbar ist er doch. Und auch das tritt ja in seiner Menschenschilderung hervor. Reizbar sind seine Menschen sehr oft, und es ist gerade seine Force, mit kleinen Vibrationen seiner Gestalten, mit dem, was kommt und geht, auf ihr Wesen, ihr Verhältnis zueinander, ihr Schicksal hinzudeuten. Aber alles, was Fontane bis zuletzt in Unruhe setzte, wird ihm doch immer wieder — und zwar: das lehren
Heft
(1982) 33
Seite
15
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