diese Briefe — nicht erst in späten Jahren, zum Ausgangspunkt jener heiter-leidenden Betrachtung, die uns heute noch mit ihm verbindet: der Gesinnung, die da findet, daß man um des über alle hingehenden Lebens willen von einem Menschenschicksal nicht viel Aufhebens machen soll. Er hatte sich gewöhnt, alles, was ihn bis zuletzt kribblig machte, im Gespräch hin und her zu wenden, nicht um sich „auszusprechen“, sondern um es zurechtzurücken, in das Element seiner Bilder und Wendungen aufzunehmen. So bezwingt er es also nicht in den tiefsten Schichten des Gefühls, wohl aber in Geist und Witz. Es ist keine Ruhe bei ihm, sondern ein Sichberuhigen. Statt vieler charakteristischer Wendungen stehe eine hier: „Aber am Ende seines Lebens auf eine vierzigjährige vergebliche Zappelei (!) zurückzublicken, ist ein schlechtes Vergnügen. Hundertmal hab ich mir vorgenommen, gleichgiltig dagegen zu sein (au f o n d ist es gleichgiltig)...“ Hier ist diese Selbstberuhigung durch eine Einsicht, die mit dem Gefühl noch nicht befreundet ist, beinah als ein Selbstgespräch dem Tonfall der Sätze abzuhören. Man darf sagen, nur das Leidenschaftslose seiner Natur erlaubte der Betrachtung „es muß so sein“, beruhigend in eine bis zuletzt reizbare Seele immer wieder siegreich einzutreten. Ein Ohr, das hören kann, vernimmt dies leise Selbstgespräch auch noch in seinen bekannten Lebensbekenntnissen, die so beruhigt klingen. Was er aber nicht bis zu Ende lebte, kommt in der Produktion zu Ende. Sein alter Stechlin lebt das, was bei Fontane bis zuletzt ein Kampf zwischen Einsicht und Gefühl geblieben ist und nur für Momente wirklich die Seele beherrschte. Solcher Temperamentsmischung entsprang ein anderes Charakteristikum der Lebenshaltung, das für die Kunst wichtig ist: daß er der Fülle des Lebens fremd war und daß er doch das Leben sucht. Die Existenz, die er selbst und viele mit ihm führten, nennt er verächtlich wohl „kleinstietzig“ und hat immer eine leise Sehnsucht nach einem anderen Gang der Tage. Er hat sich schadlos gehalten an dem, was ihm Grundmangel des heimatlichen Lebens scheint. Wieder holt er den entscheidenden Zug aus komischen Alltagsdetails, und doch ist es ein sehr ernstes Sichbeklagen: „Ursprüngliche Landessterilität, halb- hundertjähriges, aller Liebe und Frauenanmut entkleidetes Sans soucitum dazu ein mehr oder weniger berechtigter Geistesdünkel haben hier ein merkwürdiges Geschlecht erzeugt, das selbst in seinen Spitzen im türkischen Zelt einen sehr untürkischen Kaffee aus einer abgestoßenen Tasse trinkt und mit einem in allen Regenbogenfarben schillernden hie und da noch Eireste tragenden Neusilberlöffel umriihrend. das Gefühl hegt, einen Feiertag gelebt zu haben. So ist es in allem.“ Und doch — Fontanes Sehnsucht nach ästhetischen Lebensformen ist eine Sehnsucht der Grenzsetzung, nicht mehr. Wie unschön es ist, wenn man nicht anmutig zu feiern versteht, das empfindet er; wie man in der Fülle leben kann, würde er nicht wissen. Denn in einer Welt der Fülle, wo das Leben als eine wundervolle, sinnliche Offenbarung hinströmt, wird ihm unbehaglich, er fühlt, daß es ihm, „nach einer ganz bestimmten Seite hin an etwas sehr Wesentlichem gebricht“. Das ist aber nicht mehr und nicht weniger als das Gefühl für Pathos im schönsten und tiefsten Sinn. Seine Briefe aus Italien wehren sich gegen den Eindruck des Cinquecento. Er
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