Heft 
(1982) 33
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fühlt das Leben nicht hinter ..den schönen Formen und schönen Bewegun­gen, er wittert überall Mangel an Innerlichkeit, und es ist nicht häufig, daß er uns wie bei seiner Flucht von Tintoretto zu einem Dürerschen Christuskopf fühlen macht: hier ist das norddeutsche Empfinden, das seiner gewiß bleiben will. Innerlich unergriffen verläßt er Rom und erst, wenn er in einem Briefe nach der Heimkehr Worte selbstbewußter Selbstbeschei­dung findet, können wir alles wieder als eine wenn auch etwas enge und ängstliche Wahrung seiner Lebensform würdigen.All dieser Herrlichkeit gegenüber empfand ich deutlich und nicht einmal schmerzlich, daß meine bescheidene Lebensaufgabe nicht am Golf von Neapel, sondern an Spree und Havel, nicht am Vesuv, sondern an den Müggelbergen liegt. Diese Haltung beschränkt sich nicht auf das Südliche, sie tritt etwa der Dichtung Kellers gegenüber genau so hervor.

Und seine Menschengestaltung faßt denn ja auch charakteristischerweise den Menschen am besten in einer irgendwie gesellschaftlich-gekühlten Atmosphäre. Man braucht nur an Hauptmann zu denken, wenn der Leute aus dem Volke gibt! Kein Fontanescher Mensch ist so instinktiv dumpf, bei aller Hilflosigkeit so von latentem Pathos des Lebens, wie Hauptmannsche Menschen es oft sind. Was Fontanes Figuren ans Reale bindet, ist nicht jenes Sinnlich-Elementarische das Hauptmanns Menschen ins Leben hinein­geknüpft hält, sondern ein Wissen um die Notdurft des Lebens. Sie haben alle einen Schuß Verständigkeit, jeder kann, nach Maßgabe seiner Mittel, in der Sprache seines Milieus über sein Leben räsonieren.

Darum ist es auch meist stilgerecht, daß bei ihm sich alles im Gespräch entfaltet und alle MenschenFontanesch sprechen. Er faßt eben am besten irgendwie erhellte Wesenheit, die im Reden herauskommen kann. Und zwar in einem Sprechen, das nicht wie der dramatische Dialog erst werdendes Leben der Seele enthüllt, sondern in hellem Geplauder das Gewordene ausbreitet. Oft ist freilich in seinen Figuren etwas wie eine Opposition gegen zu vernünftige Helle. Tüchtigkeit ohne Poesie, gegen das Preußisch-Pflichtstramme, dem er sich doch andererseits sehr verwandt weiß. Es ist die Sehnsucht, die Fontane selbst fühlt und die ihn alle liebenswürdige Schwäche sympathisch ansehen ließ. Solche Naturen leben in dem Verlangen nach Wechsel, anmutigem Lebensgenuß, auch wohl nur überhaupt in unbestimmter er sagt gern ..languissanter Sehnsucht. Sie haben auch wohl Laune und Phantasie. Aber nicht auf die Offenbarung irgend einer Lebensfülle in diesen Gestalten kommt es an. im Gegensatz zur dürren, gesunden Prosa der anderen, sondern auf das, was in ihnen Abwehr des Nichtschönen ist. des Grauen und Gleichmäßigen; und diese Aesthetik der Grenzsetzung, die sie mit ihren Lebensbedingungen in Konflikt bringt, ist der Punkt, von dem aus Fontane sie erleben kann. Wo er aber Erscheinungen zu gestalten versucht, denen das Reizvoll-Anmutige des Lebens nicht Sehnsucht ist, sondern Besitz, da entsteht wieder etwas ganz Erhelltes, mehr etwas Gallisch-Geistreiches als etwas Südländisch-Sinn­liches, Naturen, denen im nicht guten wie im guten Sinne alles Leben ein Spiel ist. (Ebba inUnwiederbringlich, Melusine imStechlin). Von diesem Temperamentsverhältnis zum Leben aus versteht man erst ganz,

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