wie die Betrachtung, daß das Leben in seinem ewigen Fortgang über das größte Einzelne hinwegfließt, gerade solche Verse wecken mußte wie Fontanes: „Die Flut steigt über den Arrarat“. Die gleiche Betrachtung ruft bei einem anderen Temperament Entgegengesetztes hervor: einen Jubel von Rhythmen, Bildern, ein Jauchzen durcheinanderstürzender Konsonanten, daß man es brausen hört wie in Dehmels ..Lebensmesse“. Fontane hört nicht den „Ton des Ursprungs aller Ziele“, er sieht das Immerweitergehen, die Macht, die mit kleinen Bewegungen Tag in Tag schlingt. Ebensowenig aber könnte ihm der Blick auf dies Immerweitergleiten Verse über Vergänglichkeit wecken, voll mystischer Lebensangst. Gleich weit von der Möglichkeit zum Rausch wie zur Angst vor dem Leben formt sein heller Sinn eine wirkliche Betrachtung, ein Epigramm, das nur einen gefühlsmäßigen Unterton hat, das da sagt, wie man sich halten soll. Und der ganze Fontane, den von seinen jüngeren Zeitgenossen eine Welt des Empfindens trennt, ist in den Worten, die die Bewegung des Lebens bei ihm bezeichnen: „es kribbelt und wibbelt weiter.“
Wer an diese Verse denkt, weiß, daß alles das, was Fontane von Temperaments wegen eingrenzte, doch auch seine beste Kraft ausmacht. Das setzen nun unsre Briefe ins hellste Licht. Daß er, der selbst von sich schreibt: er sei Monogamist auch der Freude gegenüber, sein besonderes Talent besaß zum Aufspüren kleiner Freuden, ist ja allbekannt. Aber wir verstehen jetzt geradezu als ein Korrelat jenes Mangels an starkem Lebensgefühl nach diesen Briefen das, was er selbst einmal fein „unterirdische Freude“ nennt. Seine Gerechtigkeit, der überlegene Relativismus in sittlichen Fragen, all das wurzelt viel mehr noch in der Anlage als in der Erfahrung. Aus jener Anlage entspringt auch der Tatsachensinn Fontanes. Den hatte er nun früh vor allem dem eigenen Leben gegenüber zu bewähren. Er mußte einsehen. daß die Welt auf Dinge, die ihm Innerlichstes bedeuteten. wenig Wert legte, einfach weil sie die Welt ist. Und so sehr er selbst bis zuletzt darunter litt, er hatte schon viel zu früh die Ueberzeugung von seiner relativen Bedeutungslosigkeit im Ganzen des Lebens, zu wenig leidenschaftliche Besessenheit des Künstlers, um seine Ansprüche der Welt entgegenzuwerfen. Fontanescher zu reden: „er brachte in diesen Dingen die Forsche nicht raus“ oder „er hatte den Muck nicht“. Pathoslosigkeit, Einsicht bedingen allzuoft Schwäche der Lebensinstinkte. Fontanes Heilung gegen die Gefahr der Lebensschwäche, die sein Naturell barg, waren sein Blick für die Tatsache — und seine Sehnsucht Für ihn war die Aufgabe: ohne durch Protest vor dem eigenen hellen Blick lächerlich zu werden, sich eine Welt einzugrenzen, an die alle Nöte nicht herankönnen. Er glaubt fest an sie, aber möchte nur ja kein Wesens davon machen. „Ich habe das Leben immer genommen, wie ich es fand, und mich ihm unterworfen. Das heißt nach außen hin, in meinem Gemüte nicht“. Als junger Mensch - das erste Kind wurde ihm eben geboren, und er fürchtet, sein karges Brot zu verlieren — schreibt er: „Ich bin fest entschlossen, mich nicht zu verkaufen, und werde mich weder durch Not noch durch Tränen davon abbringen lassen.“ Das hat er gehalten. Als er 1876 eine relativ einträgliche, aber ihn bedrückende Stellung an der Akademie der Künste niederlegt und sich von
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