seiner Frau mit Vorwürfen überhäuft sieht, schreibt er: „Sich selbst angehören ist der einzige begehrenswerte Lebensluxus. Die moderne Welt ist so herunter, daß sie ein Plüschameublement vorzieht. Ich habe mit diesen Jammerprinzen nichts zu schaffen.“
Auch der Kampf in seinem Familienleben hieß ihn sein Herz bewahren, ohne den Tatsachen Unrecht zu tun. Sein Herz verlangte nach vollem Verstehen, aber es wäre ihm nicht eingefallen, wo es ihm versagt blieb und ihn dies beinahe entfremdete, seine Individualität aufzuspielen. Durch ein historisches Begreifen dessen, was ihn persönlich schwer trifft, wahrte er sich: er billigt in der nachträglichen Betrachtung dem Gegner das doppelte Recht zu, „und halbiert das seine“. Das hilft dann. Daß all das aber nicht aus einem positiven christlichen Gefühl kam, sondern aus dem Sichbesinnenkönnen, zeigen Worte, die er brieflich einmal bei einer kleinen Verletzung seines Selbstbewußtseins äußert: ..Ich trage nichts nach — wenn ich auch nichts vergesse.“ Von hier aus versteht man tiefer die Sterbeszene in Effi Briest, wo die zur Reife der Seele Gelangte rückerinnernd ihrem Mann alles Recht zubilligt, um dann mit einem Wort den Anspruch ihrer Seele zu wahren, ... „Er war so edel, wie einer sein kann, der ohne rechte Liebe ist“. Diese Briefe machen uns klar, daß es bei Fontanes Art zu resignieren doch mehr um eine — freilich besondere —Selbstbewahrung geht als um das Kapitulieren vor dem Leben. Das stille Heldentum, das ihm imponiert, heißt viel weniger ..resignieren können“ als Selbstbewahrung unter Anerkennung der Tatsachen. „Was aber meist für Heldentum gerechnet wird, ist fable convenue, Renommisterei, Grogresultat.“ Gewiß seiner Natur nach und in einer Zeit, da es für nur feine, nicht starke Menschen besonders schwer war, dem Leben gegenüber aktiv gestimmt zu sein, forderte er nur resignierte Selbstbewahrung und daß der Mensch durch Anerkennung der Facta seine Seele nicht bedroht fühle. Aber es führt eine Brücke herüber zu einer neuen Geistesrichtung, die die Sachlichkeit aus der Resignation erlöst und bei voller Ehrfurcht vor Tatsachen den Willen wieder angriffslustig macht.
Aus all dem erklärt sich die Opposition gegen Ibsens (in ihrem tiefsten Antrieb nicht verstandene) Forderungen, die in diesen Briefen weit drastischer lebt als in den Kritiken. Hinter allen eingestandenen Gründen steht der Wille, den Erwerb seines Lebens festzuhalten. Gegen die Forderung der ..Selbstbefreiung“ setzt er die der „Selbstbewahrung“. Er weiß, daß sich in diesem Kampf bei ihm Werte entwickelt haben, feine, menschliche, freilich passive Werte. Er fürchtet für sie. Und er weiß: Tradition ist das, was doch mit tausend feinen Fasern unserm lebendigsten Dasein verbunden, sich nicht zerschneiden läßt, ohne daß unser Sein — nicht nur unser Glück — verletzt wird. In seinen dichterischen Augenblicken bringt er die stumme Trauer gewisser menschlicher Situationen zum Klingen, da die Seelen, von solchem Gefühl erfüllt, sich dem Leben beugen. Trotz manchem, was in seinen „lebensweisen“ Resignationsausprüchen nach philiströser Nachgiebigkeit schmeckt, bleibt ihm solcher Vorwurf fern: Denn es geht im letzten Grunde um die Selbstbewahrung, nicht um das bißchen Glück.
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