Tode des ältesten Sohnes, die beinahe befremdliche Gereiztheit über den „Trauerapparat“, über die Leute, die von ihm den „Kolossalschmerz“ verlangen, ist bei diesem Lebenskenner, wohl noch mehr als auf die Abneigung gegen jede laute Äußerung, auf diese harte Kritik eigener Gefühle zurückzuführen. Hier aber sind wir an einem für den Schriftsteller Fontane sehr wichtigen Punkte. Durch das Temperament, das ihn zu Dingen und Menschen, ja auch zu sich selbst (dies letztere hindert die lyrische Aussprache!) in eine gewisse Feme rückt, ist er, der doch eigentlich am stärksten an Menschen, und zwar an sprechenden Menschen, interessiert war, zum Epiker geworden. Ein Drama zu schreiben, wäre ihm versagt gewesen, erstens weil er ohne Leidenschaft war und die aus der Leidenschaft kommende Notwendigkeit der Katastrophe nicht fühlen konnte, dann aber, weil er bei allem brennenden Interesse am Menschen nicht die Verwandlungen des Dramatikers erleben konnte. Er ist immer Zuschauer, immer gegenüber. Nun ist er aber eine besondere Art Epiker, einer, der nicht vom Verlauf des Geschehens ausgeht — obwohl er doch das Leben über den Menschen hingehen sah. Zwar zeigen unsere Briefe, daß er Konzeptionen aus den Erzählungen von Geschehnissen gewinnt, die einen fatalistischen Zug haben (Unwiederbringlich, Effi Briest), aber jeder, der Fontane kennt, weiß, wie die Charaktere bei ihm alles sind. Besser: die menschlichen Haltungen. Denn dies ist es, was er gibt: Haltungen von Menschen. Und wenn er die ganze Umgebung eines Menschen schildert, so ist es nie Milieu, immer Charakterschilderung — der Mensch erweitert bis dahin, wo die Grenzen seiner Persönlichkeit in die Breite des Lebens verlaufen. Mir scheint, er suchte lebenslang zu einer Form zu kommen, in der die bloße Darstellung menschlicher Lebenshaltungen Kunst wird.
Lange hat er sich überlieferten Formen anvertraut, und das Konventionelle haftet denn auch an seiner Komposition, wo sie nicht anekdotisch locker ist und zerfällt. Einmal, unter einer besonders günstigen Konstellation, hat er in „Effi Briest“ ein Thema, zu dem er schon oft angesetzt hatte, klar komponiert. Aber auch hier bestimmt sich die Form nicht aus seinem innersten Rhythmus. Fontanescher sind doch wohl die ganz formlosen Werke, die „Poggenpuhls“, der „Stechlin“; da wo die Novelle auf hört und nichts da ist als ein Ausgeben von Lebenswissen in menschlichen Haltungen; wo alle Form nur darin besteht, daß solche Haltungen im künstlerischen Sinne „Erscheinung“ bekommen. Im Stechlin treten die Ereignisse (mehr Vorfälle) ganz revueartig auf. Menschen und Dinge treten an den alten, innerlich ganz reifen Menschen heran, nach dem die Geschichte heißt, Botschaften des Lebens, die noch einmal eine letzte Antwort seines Wesens auf ihre Berührung erhalten. Und in diesen Reaktionen schließt sich unmerklich ein Ring, formt sich eine Haltung zur Welt. Nur daß hier die Freude des Erfahrenen am Ausspenden des Wissens von Leben und Menschen auch noch diese Form auflöst. Und wie ihm da zuletzt alle epische Substanz wegsinkt zwischen diesen Lebenshaltungen, die er aufbaut, das verstehen wir erst ganz aus diesen Briefen. Denn auch hier ist zuletzt das Leben nichts mehr — alles ist Charakter geworden. „Die Dinge
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