sie hinsichtlich der Fabel, der Charaktere, der Motive und des Milieus mit früheren Romanen Fontanes. Es ist ja bekannt, daß Fontane immer wieder die Frage der Eheschuld behandelt. Helene Herrmann betont, daß ihn das rein Inhaltliche an diesem Thema verhältnismäßig wenig interessiert habe. „Das Hineingleiten der Menschen in eine Schuld“ sei ihm das Wesentliche an dieser Thematik gewesen; niemals zeige er die „Selbstvergessenheit“, sondern ihm sei „das Nachgeben der Seele“ das Entscheidende. Meist sei es dann nur ein kurzes, von Selbstvorwürfen belastetes Glück, was den Helden Fontanes beschieden gewesen sei. Fontanes „Ordnungssinn“ verlange nach einer Sühne. „Feste Verhältnisse verwirrt haben und dann weiterleben, als sei nichts geschehen — das geht nicht an“. So erklärt Helene Herrmann die Tatsache, daß viele Romane Fontanes tragisch enden. Ein Leitgedanke der „Effi Briest“-Arbeit Helene Herrmanns beruht auf ihrer Überzeugung, daß die frühen Romane Fontanes „eine unbewußte Vorgeschichte“ zur „Elfi Briest“, frühere Werke eine „Vorstudie des Späteren“ gewesen seien.
Aber Helene Herrmann versucht mehr als das. Sie ringt um die Erkenntnis vom Wesen des Dichterischen und seines Schöpfers und bemüht sich, dem Allgemeingültigen Ausdruck zu verleihen. Sie schreibt: „Dem Dichter ist es gesetzt, durch die Sprache eine Welt heraufzuheben, die ihren Takt und ihr Maß aus dem Gang seines Blutes empfängt“. Sie meint, ihn interessiere die Welt nur insoweit, als er mit ihr „seine Welt aufbaut, die seine innere Vision ist“. Sein Anliegen sei es, „aus dem Stoff der Welt ... das Gebilde seiner Welt zu machen, eine Welt, die für alle nacherlebbar und wirksam aus sich existiere, von ihm abgelöst: das ist der Lebensprozeß des dichterisdien Ich.“
So sehr diese Sätze die Sprache der Diltheyschen Betrachtung offenbaren, sind mit diesen Gedanken doch Zusammenhänge zwischen der Entstehung und der Wirkung von Kunst benannt, die sich Helene Herrmanns Studien als äußerst fruchtbare Bemühung um ein schöpferisches Verfahren der Interpretation niederschlagen. Die Gestaltwerdung von Texten und ihre Wirkung wollte sie aufhellen. Grundsätzlich sah sie Prozesse, die bei Kunstbetrachtungen zu untersuchen seien, nicht unumstößliche Resultate. Und natürlich spielt die Dichterpersönlichkeit für jene Zeit eine überragende Rolle; man denke an den Genie-Kult des George-Kreises.
Mit großem Einfühlungsvermögen zeichnet Helene Herrrriann an „Elfi Briest“ nach, wie Fontane vom „Zuschauer“ zum „Schauenden“ geworden ist — zum Dichter „lebendiger Symbole“, mit denen das rein Stoffliche „gestaltet“ werden konnte. Aus dem Vergleich zweier Werke, „L’Adultera“ (1882) und „Effi Briest“ (1895), entwickelt sie die zunehmende Bedeutung von „wichtigen handlungsführenden Motiven“, versucht sie zu zeigen, wie Fontane im frühen Roman noch „sagt“, was er im späteren Werk zu formen und ins „Dichterisch-Symbolische“ zu heben wisse.
Helene Herrmanns „Effi Briest“-Arbeit ist trotz gewisser Vorbehalte voll und ganz von ihrer Sympathie zu diesem Dichter durchdrungen. Denn auch wenn sie meint, daß der „dichterische Trieb nicht von Anfang an das
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