tanes Ziel Epernay dauerte die Reise noch zwei Stunden. Während dieser Fahrt rief sich Fontane seine Gespräche mit Vischer ins Gedächtnis zurück. Darüber berichtet er „bunt durcheinander“ im Kapitel „Epernay“ 1 .
Dort steht unter anderem: „Über N. N., den er ebenfalls von Zürich her kannte und den jeder nach dem Mitzuteilenden leicht zu erraten vermag, saß er scharf zu Gericht. Er gehört in die Familie: genius crepitus. Mein Freund Gottfried Keller hatte ganz recht, ihn mit einer femme entretenue zu vergleichen; mal hat ihn dieser, mal jener, aber immer wird er ,aus- gehalten“ und jedem kommt er teuer zu stehen.“ 2
In Band XVI der vierundzwanzigbändigen Nymphenburger Ausgabe von Theodor Fontanes „Sämtlichen Werken“ steht zu N. N. folgende Anmerkung : „Uber N. N.: gemeint ist vielleicht der Kunsthistoriker und Dichter Gottfried Kinkel (1815—1882), der 1866 Nachfolger W. Lübkes am Züricher Polytechnikum geworden war.“ 3 In den im Verlag der Nation erschienenen „Wanderungen durch Frankreich, Erlebtes 1870—71“ lautet die Anmerkung zu N. N.: „Über N. N.: Gemeint ist vielleicht der Kunsthistoriker und Dichter Gottfried Kinkel (1815—1882) der, wegen Beteiligung an der Revolution 1849 in Berlin zum Tode verurteilt, nach England geflohen und 1866 Nachfolger Lübkes am Züricher Polytechnikum geworden war.“ 4 In dem unveröffentlichten Notizbuch Theodor Fontanes, das von seiner Hand die Aufschrift 1871/1 trägt und das im Theodor-Fontane-Archiv zu Potsdam unter D7 katalogisiert ist, hat der Dichter in seinen Aufzeichnungen, die er für die Abfassung von „Aus den Tagen der Okkupation“ verwendet hat, auf Seite 14 geschrieben: 1. Von Richard Wagner (Vor- und Familienname in lateinischer Schrift, der Verf.) sagte er (nach Gottfried Keller) (Familienname in lat. Schrift, der Verf.) „Der Kerl ist wie eine femme entretenue (beide Worte in lat. Schrift, der Verf.), mal hat ihn dieser oder diese, mal jener oder jene, aber immer wird er ,ausgehalten“, immer muß der andere bezahlen, bis einer kommt, der mehr bietet.“ Senkrecht am Rande entlang steht in nicht überall deutlicher Drudeschrift „Genir crepitus“. Der Buchstabe am Ende des ersten Wortes kann beim besten Willen nicht als „e“ gelesen werden.
N. N. ist also nicht Gottfried Kinkel, sondern Richard Wagner.
Wie kann man zu der irrtümlichen Vermutung kommen, mit N. N. habe Fontane Gottfried Kinkel gemeint?
Gottfried Kinkel war 1866 als Professor für Archäologie und Kunstgeschichte an das 1855 gegründete Polytechnikum von Zürich berufen worden. Dort war er bis zu seinem Tode im November 1882 tätig. Schon als vor der Gründung des Polytechnikums die Besetzung der verschiedenen Lehrstühle ein Gesprächsgegenstand der interessierten Kreise ist, schreibt Hermann Hettner 5 am 1. November 1854 an Gottfried Keller, daß er glaube, Kinkel komme nach Zürich. Doch zu dieser Zeit hält Keller das aus politischen Gründen für unmöglich. 6
Friedrich Theodor Vischer war schon 1855 nach Zürich berufen worden, und zwar für das Gebiet der deutschen Literatur und der Ästhetik. Der
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