Literatur- und Kunstgeschichtler und Freund Gottfried Kellers Hermann Hettner hatte sich für diesen Lehrstuhl interessiert, erkannte aber, als er von seiner Konkurrenz mit dem berühmten Vischer hörte, daß seine Chancen nur sehr gering seien. Friedrich Theodor Vischer blieb bis 1866 in Zürich und ging dann nach Tübingen zurück, wo er schon früher gelehrt hatte.
Gottfried Keller war 1855 von Berlin über Dresden, wo er Hettner besucht hatte, nach Zürich zurückgekehrt. Eine Berufung auf den Lehrstuhl für deutsche Literatur am Polytechnikum hatte er abgelehnt, um nicht „aus einem erträglichen Poeten ein schlechter Lehrer zu werden.“ 7 Aus Kellers Briefen an Hermann Hettner geht hervor, daß man 1857 wieder mit dem Gedanken umging, Keller „doch noch eine besoldete Lehrstelle am Polytechnikum für allerlei freie und beliebige Vorträge unter irgendeinem Titel zu ermöglichen.“ 8 Und Keller fährt fort: „Ich lasse diese Dinge geschehen, ohne selbst darüber mich zu äußern, obgleich ich überlegter Weise nicht darauf werde eingehen können; denn wenn ich neben einem so verdienstvollen und eingepaukten Vortragsvirtuosen wie Vischer nicht vollständig als ein Redwitz oder Bacherl erscheinen will, muß ich so verzwickt arbeiten (d. h. das, was ich lehren will, erst methodisch lernen), daß ich, bei dem Honorar, das ich jetzt für Bücher, Feuilletonnovellen etc. haben kann, durch Schreiben in der Zeit das Doppelte einnehme, wobei ich in meinem Element bleibe, während mir das Dozieren nicht die mindeste Freude, sondern nur Qual bereiten würde, und vielleicht Verdruß und Beschämung.“ 9
Kollegen waren Kinkel und Vischer also nicht von Keller gewesen, aber letzterer kannte beide persönlich.
Am 3. September 1857 hatte Gottfried Kinkel an Gottfried Keller geschrieben und ihm sehr freundliche Worte über seine Gedichte gesagt, gleichzeitig läßt er ihm seine Tragödie „Nimrod“ zukommen, darauf antwortet ihm Keller am 29. September 1857 mit einem Dankesbrief, in dem es heißt: „Möge die Unzulänglichkeit der kontinentalen Herren recht bald den Umschwung herbeiführen, und dankbar werde ich Sie, geehrter Herr! einst auf dem festen Lande wieder begrüßen.“ 10 Aus dem dieser Stelle voraufgehenden Brieftext ist ersichtlich, daß Keller einen Umschwung von der „Zeit der Nichtswürdigkeit und der Verwirrung“ zu „Freiheit, Ganzheit und Unbefangenheit“ meint. 11
Keller und Kinkel haben später noch einige Briefe gewechselt; als Kinkel dann aber ab Oktober 1866 in Zürich lebt, sehen sie sich häufig bei gesellschaftlichen Anlässen, verkehren auch gelegentlich miteinander. Annähernd ebenso ist es mit Keller und Friedrich Theodor Vischer, solange dieser in Zürich lehrt. Sie sind sogar noch vertrauter miteinander. Am 11. November 1857 schreibt Keller an Hettner: „Mit Vischer, Burckhardt 12 , Hitzig 13 trinke ich zuweilen des Abends ein Schöppchen, wozu manchmal noch Semper 11 kommt, ... “ 15
So nimmt es nicht wunder, daß Keller außer über den allgemeinen Züricher auch über den Universitätsklatsch genau unterrichtet ist. Wenn er am 18. Oktober 1856 an Hettner schreibt: „Von Universitätsklatsch weiß ich
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