Heft 
(1982) 33
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zweiten oder dritten Bande seiner Gedichte fingiert ,der schöne Mann 1 sich als gestorben und läßt an seinem Grabe ein oder zwei junge Freiheits­kämpfer dem Vaterlande Treue schwören.' 2 * Ich kann den K. nicht leiden; außer dieser kindischen Eitelkeit kommt er mir auch unwahr vor . 29

Für Keller und Storm ist Gottfried Kinkel einschöner Mann, das heißt, ein Mann, der gut aussieht, es aber auch weiß und sich dementsprechend benimmt, mit weibischen Launen, voller Eitelkeit und Eifersucht. Das Lächeln, das Keller bei den beiden Vortragsvirtuosen beobachtet hat, mag süß-sauer und hämisch gewesen sein;so lange Kerle und geriebene Luder sindso ausgewachsene, so im Leben und auf dem Boden der Realität stehende, mit allen Wassern gewaschene und alle Schliche ken­nende Männer. Da jeder von ihnen die Lage des anderen durchschaut, wäre ein gewisses gegenseitiges Verständnis zu erwarten, ja, jeder könnte in dem anderen eine Art Komplicen erkennen. Dazu wäre jedoch ein Minimum an Großzügigkeit und vor allem Humor notwendig. Der Mangel an diesen beiden läßt sie in Kellers Augenschofel erscheinen. Die Eitel­keit hat sie verdorben. Auch Storm, der Keller ganz beipflichtet, spricht von der Eitelkeit Kinkels, die er kindisch nennt; zudem scheint ihm Kinkel unwahr. Ob eine ausgeprägte Eitelkeit, die eine Einbildung ist, also eine falsche Vorstellung, nicht immer mehr oder weniger Unwahrheit impliziert, mag dahingestellt bleiben.

Jedenfalls hat Keller in Bezug auf Kinkel an ein weibisches Benehmen gedacht, er hat sein Lächeln mit dem einer Frau verglichen, ihn ein gerie­benes Luder und schofel genannt. Hier könnte man Anklänge an das Urteil über N. N. sehen, wo Vischer sich auf seinen Freund Gottfried Keller beruft.

Ähnlich verhält es sich bei Fontane. Da in dem Urteil über N. N. dessen politische Haltung nicht beleuchtet wird, steht Fontanes Meinung über den Politiker Kinkel nicht zur Debatte. Dem Dichter Gottfried Kinkel zollt er Anerkennung, wenn er in seiner Besprechung der epischen Dichtung Schloß Herzberg von Clementine Helm sagt;Paul Heyse in seiner ,Braut von Zypern 1 , im .Walchensee 1 , Victor Scheffel in seinem .Trompeter von Säckingen, Gottfried Kinkel in seinem Bruchstück gebliebenen .Quentin Massys 1 . vor allem in ,Otto der Schütz', haben Hervorragendes auf diesem Gebiete geleistet.

Für den in London Vorträge über Literaturgeschichte haltenden Kinkel empfindet er Achtung wegen dessen unparteiischen Urteils in literarischen Dingen, was den Dichter Christian Friedrich Scherenberg betrifft:Mußte solch Lob schon aus dem Munde von Robert Prutz überraschen, so war es noch überraschlicher, den eben erst durch Karl Schurz aus seiner Gefangen­schaft befreiten Gottfried Kinkel in London dieselbe begeisterte Sprache führen zu hören. Alles Bittere vergessend, das ihm in der Form einer Zuchthausbegnadigung das offizielle Preußen angetan hatte, hielt er mit seiner Bewunderung für den Dichter eines spezifischen Preußentums nicht zurück und nannte den Verfasser von .Waterloo 1 den bedeutendsten und eigentlichsten Dichter unserer Epoche. So Kinkel . 91

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