bestärkt wird, so müssen diese schon vorher existiert haben. Keller sieht also Wagner nun mit kritischen Augen.
Oft ist Kellers Brief an Freiligrath"- 1 vom 30. April 1857 zitiert worden, in dem er schreibt: „Dann ist auch Richard Wagner, ein sehr begabter Mensch, aber auch etwas Friseur (!) und Charlatan. Er unterhält einen Nipptisch, worauf eine silberne Haarbürste in kristallener Schale zu sehen ist etc. etc.“ 1 " So ist die Stelle bei Baechtold'" wiedergegeben. In der Helblingschen Ausgabe von Kellers Briefen 1 ’' 1 lautet der Text ebenso, aber es fehlt das Komma nach „Wagner“, das in Klammern stehende Ausrufungszeichen nach Friseur und das Wort Charlatan ist kursiv gedruckt. In Georg Lukäcs’ „Gottfried Keller“, wo diese Stelle zitiert ist 1 ", steht statt Friseur „Faiseur“. In der Handschrift sieht der Briefauszug so aus: „Dann ist auch Richard Wagner ein sehr begabter Mensch, aber auch etwas Friseur und Charlatan (dieses Wort lateinisch geschrieben, der Verl.) Er unterhält einen Nipptisch, worauf eine silberne Haarbürste in kristallener Schale zu sehen ist etc. etc.“ w „Friseur“ paßt auch besser zu dem Hinweis auf die silberne Haarbürste. Keller belächelt fein dieses Bestreben, sich eine besondere Rolle zu geben, dieses Trachten nach einem Nimbus, überhaupt das Hochgeschraubt-Feierliche, auch im Werk des Künstlers: „Dieser Tage war Eduard Devrient hier und wohnte bei Wagner. Es wurde im Shakespeare und „Faust“ gelesen und aus Wagners großem Nibelungenwerk musiziert, worin es sehr hoch und poetisch zugeht. Hübsche Damen waren fleißig im schönen Dasitzen und meine Wenigkeit ganz emsig in stillem Unschönsein.“ 1 ' 0 Der letzte Satz ist eine meisterhafte Schilderung der Zuhörerschaft und indirekt sogar der Künstler. Ihre Darbietungen sind demnach nicht nur ein kulturelles Ereignis, sondern weitgehend auch ein mondänes der wohlhabenden Kreise. Von den ebenfalls anwesenden Herren wird nicht gesprochen, weil aus Kellers Sicht Richard Wagner besonders für den ihn anschwärmenden Damenflor empfänglich war. Dazwischen Keller, der sich als dieser Gemeinde nicht zugehörig betrachtete, vom ästhetischen Standpunkt aus gesehen und auch von dem der inneren Haltung dem Ganzen gegenüber, die bei ihm eine kritische war.
In der Korrespondenz zwischen Keller und Storm, in der recht oft in eben nicht zarten Worten Dritter gedacht wurde, findet sich kein einziges Wort über Richard Wagner.
Am klarsten geht die Änderung von Gottfried Kellers Haltung dem Werke Richard Wagners gegenüber aus seinem Aufsatz zur Literatur „Am Mythenstein“ 7 " hervor: „Richard Wagner hat den Versuch gemacht, eine Poesie zu seinen Zwecken selbst zu schaffen, allein ohne aus der Schrulle der zerhackten Versehen herauszukommen, und seine Sprache, so poetisch und großartig sein Griff in die deutsche Vorwelt und seine Intentionen sind, ist in ihrem archaistischen Getändel nicht geeignet, das Bewußtsein der Gegenwart oder gar der Zukunft zu umkleiden, sondern sie gehört der Vergangenheit an.“ 71 Dieses Urteil aus dem Jahre 1861 ist weit entfernt von der Anerkennung, die Keller Wagner 1856 zollte.
In den siebziger Jahren spricht Gottfried Keller weniger von dem Menschen Richard Wagner als von dessen Werk und Wirkung. Auf die ausfallende