Heft 
(1982) 33
Seite
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Auch aus den Briefen aus Bayreuth geht hervor, daß ihn das Phänomen Wagner nicht in musikalischer Hinsicht interessiert, dagegen aber eminent in gesellschaftlicher, wenn auch nur als Zuschauer, als Beobachter; denn er sieht ein, wie er am 27. Juli 1889 an seine Frau schreibt,daß die ganze Geschichte doch nur für Lords und Bankiers inszeniert ist. So daß man eigentlich nicht hineingehört. 91

Dabei hatte Fontane am 28. Juli 1889 nicht zum erstenmal die Flucht vor Wagner und der Musik ergriffen. Schon 1877 hatte er das Feld vor ihm geräumt. H.-H. Reuter hat darauf hingewiesen, daß FontanesBriefe aus und über Bayreuth (...) zum Übermütigsten gehören, was er je verfaßt hat. 100 Es sieht so aus, als hätte gerade Wagner mitsamt seiner Musik und allem, was dazu gehört, einen ungewöhnlichen Übermut bei Fontane aus­gelöst. Denn auffallend ist, daß der BerichtAus Thüringen über die Flucht von 1867 ebenfalls in äußerst humorvollem Ton abgefaßt ist: Gestern war ich in Eisenach, und ich entfloh ihm eigentlich nur, weil morgen daselbst das .große Musizieren 1 beginnt. Wie Fink in Freytags .Soll und Haben' schwärme ich im wesentlichen nur für die Pauke, und Sie können sich denken, wie mir zumute wurde, als gestern alles, was zwischen Tuba und Pickelflöte liegt, zahllose Primadonnen ungerechnet, wie ein Volk Hühner in den Eisenacher .Halben Mond' einfiel. Alles was zu dem Trium­virat: Liszt, Wagner, Bülow hält, war da; Virtuosen mit Feldherrnattitüde, junge Genies mit langem und Artistinnen mit kurzem Haar nichts fehlte. Zuletzt erschien der Abbate Liszt selbst. Alle Nationen waren vertreten: Russen, Italiener, Franzosen (...). Jedenfalls bei Rückkehr in das überfüllte Hotel (unter dessen aufgespeicherten Gepäckstücken ich vor allem den Violinkasten bedrohlich vertreten fand) hielt ich es für geraten, mich der stattflndenden, bzw. obwaltenden Festlichkeit zu entziehen und hierher nach Mieiningen zu entfliehen, dem vielleicht geschütztesten Orte in Deutsch­land. Hier haben sie nämlich bereits vier Tage geprobt, und wo das Wetter sich ausgewettert hat, kommt es so bald nicht wieder. 101 Die Akzente sind schon ganz so gesetzt wie zweiundzwanzig Jahre später: Fontane flieht vor demgroßen Musizieren, das ihn beängstigt. Hier saß er nicht in einem klammen beklemmenden dunklen Saal, und er hatte noch nicht einmal Musik vernommen, allein der Gedanke an alles, waszwischen Tuba und Pickelflöte liegt genügt, um ein höchst unbehagliches Gefühl in ihm wachzurufen. Der Tuba gegenüber empfindet er entschieden ein ganz besonderes Mißtrauen. Der Anblick der aufgespeicherten Gepäckstücke und besonders der Violinkästen ist für ihn bedrohlich. Schon bei dieser Gelegenheit scheint sich eine Art Klaustrophobie bei Fontane einzustellen, wie 1889 in Bayreuth, wo er den Eindruck hat,wie als Kind in einer zugeschlagenen Apfelkiste 1112 zu sitzen.

Auch hier herrscht die Beobachtung der gesellschaftlichen Seite des Ganzen vor. Den Kontrast zwischender genialen Künstlerbeweglichkeit und dem, was er diewichtigtuerische Steifheit der Engländer nennt, findet er besonders komisch 1111 . Sogar die Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit des gewöhnlichen Sterblichen durch dieses Treiben und seine Vorbereitungen erscheint bereits hier. Denn nur mit Mühe erhalten Fontane und andere

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