Die oben angeführte Wertskala Fontanes resultiert aus der Stellung, die im vorigen Jahrhundert dem Lehrerstand im Gefüge der ständischen Gliederung zugewiesen war.
Der Dorfschullehrer befand sich in einer unglücklichen Doppelabhängigkeit. Der örtliche Geistliche fungierte als Ortsschulinspektor, der Gutsherr übte die Funktion des Schulpatrons aus. So, zwischen zwei Pole gestellt, die oft noch untereinander zerstritten waren, muß der Schulmeister folgerichtig den kürzeren ziehen. Ein Gefühl persönlicher Standeswürde kann sich hier kaum entwickeln.
Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang die von Fontane hoch geschätzten „Erinnerungen aus dem Leben eines Landgeistlichen“ von Karl Büchsei. 9 Wenn dieser etwa seinen Amtsbrüdem den Rat gibt, die jungen Lehrer nicht an der Stubentür stehenzulassen und sie stattdessen zum Sitzen zu nötigen 10 , so kann man nicht erwarten, daß in einem dergestalt behandelten Schulmeister sich Charaktereigenschaften entwickeln, wie sie notwendig wären, seine Schüler zu Persönlichkeiten zu entwickeln. (Graf Holk über den Hauslehrer, eine ähnlich deklassierte Gruppe von Zeitgenossen zu seiner Frau: „...den Charakter soll er bilden. Leider hat er selber keinen..." u )
Das böse Wort des Ministerialassessors von Rex im „Stechlin“, daß die Lehrer eigentlich ein Schrecknis seien 12 , kann nur aus dem Munde eines Beamten kommen, der, in den Gedankengängen seiner Klasse befangen, vordergründig und vorschnell urteilt und nicht willens ist, sich Gedanken über die Hintergründe dieses Problems zu machen.
In diesem Zusammenhang muß die Person des Lehrers Krippenstapel im „Stechlin“ gesehen werden.
Übrigens war mehr als dreißig Jahre vorher schon einmal die Figur eines Schulmeisters und Bienenvaters literarisch behandelt worden.
Fontanes väterlicher Freund, Kammergerichtsrat Wilhelm von Merckel, hatte in der „Argo“ von 1859 die Erzählung „Aus dem Postwagen“ 13 publiziert. Die Lebensumstände und Ansichten des Helden der Geschichte, des Emeritus Wolff, weisen unmittelbar auf die Person des Lehrers Krippenstapel hin.
Dem Leser tut sich hier ein Blick in eine Welt auf, aus der heraus die Wunderlichkeiten der damaligen Lehrer voll verständlich werden, eine Welt, in die einen Blick zu tun dem von Rex vielleicht (?) die Augen geöffnet hätte.
„Kleine Verhältnisse machen klein“, schreibt Fontane an seine Tochter Mete. 1 ''
Kleine Verhältnisse. Wir lesen bei Merckel: „Während der Hausknecht mit seiner Hornlateme den Schulmeister über den Hof ins bescheidene Kämmerlein dirigierte, leuchtete der Wirt dem ... Herrn Schulrat die Vordertreppe hinauf in das herkömmliche komfortable Gemach.“ 15 Die kärglichen Barbezüge des Dorfschulmeisters werden durch Sachliefe- rungen der Gemeinde ergänzt. Der Emeritus Wolff bei Merckel: „Mit sechzig Talern, einer halben Klafter, und sechs Scheffeln macht man keine
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