psychologische Seite angeht, so sind etwa die Aufdeckung der inneren Motivation der Protagonistin sowie die Sichtbarmachung von deren Ent- wicklungs- und Bewußtwerdungsprozeß unverzichtbare Konstituenten für den in notwendiger Folgerichtigkeit ablaufenden Handlungsprozeß.
Die Verwendung des historischen Stoffes hingegen weist offenkundig schon auf das zentrale Problem der Novelle und damit auch auf das eigentliche Anliegen Fontanes hin. Mit der Verarbeitung eines weit in die Vergangenheit zurückreichenden Stoffes, der natürlich dem Zweck der Aussage des Dichters entsprechend in vielen Details und Fakten verändert und modifiziert wurde, ist es Fontane möglich, eben durch die Darstellung einer zurückliegenden Zeit, die von der den Dichter umgebenden Zeit und Gegenwart abgesetzt erscheint, eine gewisse Distanz aufzubauen. Diese Distanz, oder auch anders ausgedrückt ein gewisser Überzeitlichkeitscharakter, der so entsteht — ohne vorherige Quellenkenntnis ist kaum der ungefähre Zeitpunkt der Handlung, die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts, wirklich erschließbar —, wird zur entscheidenden Grundlage der Vermittlung und Darstellung der eigentlichen Thematik bzw. Problematik der Novelle. Es handelt sich meines Erachtens um eine allgemeine menschheitsemanzipatorische Problematik. Es wird der Frage nachgegangen, ob, wie und unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen es möglich ist, die Emanzipation des Menschen aus seiner .selbstverschuldeten Unmündigkeit* zu vollziehen. Hier läßt sich auch zu Fontanes eigener Wirklichkeit wieder schließen, denn die Novelle steht natürlich trotz ihrer übergreifenden allgemeinmenschlichen Problematik nicht bezugslos zur Fontaneschen Gegenwart. Fontane schrieb die Novelle 1878 als nahezu 60jähriger, ,.im Leben herangereifter Mann“ (Br. a. s. Frau v. 11. 6. 1879, in: Brinkmann, a. a. O., S. 251), der angesichts der enorm voranschreitenden Kapitalismusentwicklung in Deutschland, besonders in den letzten Jahren, der damit verbundenen Verschärfung der Klassenkämpfe, der zunehmenden Entfremdung und des Wandels der gesellschaftlichen Lebensformen überhaupt, immer mehr die ursprüngliche Hoffnung auf eine baldige Verwirklichung des im Kantschen Imperativ enthaltenen Anspruchs auf menschliche Emanzipation und Selbstverwirklichung verloren hatte. Er war zu der Einsicht gelangt, daß die Gesellschaft als Kollektiv bzw. die sie tragenden Klassen oder Stände diesen Schritt nicht zu vollziehen vermochten. Weder der längst überlebte Adel noch das nur materiell-egoistisch orientierte Bürgertum, aber auch nicht die neu entstehende Klasse des Proletariats, der Fontane zwar die Beseitigung der bisherigen Gesellschaftsordnung zutraute, schienen ihm dazu in der Lage. So bleibt eigentlich für Fontane nur der Einzelne, das Individuum selbst, diesen naturrechtlichen Charakter tragenden mensdiheitsemanzipatorischen Anspruch der Selbstverwirklichung und Befreiung zu verwirklichen.
Doch ist das Individuum nicht einfach von seiner gesellschaftlichen Einbindung, seiner Klassenrolle usw. abzulösen. Und so kollidiert der Versuch individueller Selbstbefreiung auf gesellschaftlicher Ebene stets mit den Konventionen und Normen der Majorität. (Vgl. Karlheinz Gärtner, Th. Fontane. Literatur als Alternative, Bonn 1978, S. 194.) Und hier liegt auch der Hauptwiderspruch, den Fontane in seiner Novelle zur Darstellung zu brin-
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