gen versucht: Die Einheit und der Gegensatz des Wollens und Strebens des Individuums nach Eigenidentität und Selbstverwirklichung und der Möglichkeit des Vollbringens, der Realisation dieses Anspruchs innerhalb der obwaltenden Notwendigkeiten übergeordneter gesellschaftlicher Identitäten. Dieser Widerspruch erweist sich angesichts der zunehmenden Kapitalisierung jener Zeit von großer Aktualität und neuer Dimension, so daß Fontane ihn neu zu hinterfragen suchte.
Dieser Grundkonflikt wird schon in den Anfangskapiteln der Novelle offenbar, in denen die Hauptfiguren, deren Charaktere und Lebenssituation vorgestellt werden. Grete wird als außergewöhnlich schönes und anziehendes Mädchen gezeigt, „sehr zart gebaut“ mit „feinen Linien“ (S. 8). Ihre Schönheit ist sozusagen Verkörperung einer .schönen Menschlichkeit“ bzw. äußerer Ausdruck einer Potenz zu menschlicher Vollkommenheit. Doch gleichzeitig und gerade dadurch ist Grete als eine Fremde, als Heimatlose in der sie umgebenden Welt gekennzeichnet, und das im doppeltem Sinne. Einmal durch ihr zwar schönes, aber fremdländisches Aussehen, das von ihrer Mutter, einer Spanisch-Katholischen aus Flandern, herrührt, also durch ihre Herkunft, und zum zweiten durch ihre familiäre Situation, die zerstörten Bindungen innerhalb der Familie, besonders zur Schwägerin Trud und zum Bruder Gert. Grete sehnt sich nach einer Heimat, nach Geborgenheit und Glück (Gartenidyll, Hänflingsnest, Fragen nach der Mutter). Kontrastierend dazu steht die ödnis und Enge der häuslichen Umwelt, die von der in ihrer Menschlichkeit reduzierten, weil nicht mehr liebesfähigen Trud beherrscht wird.
Im Handlungsverlauf vollzieht sich sukzessive eine Verschärfung des Konflikts. Die wachsende Unerträglichkeit der häuslichen Verhältnisse (Tod des Vaters, Grete wird zur Erziehung des Kindes der ihr verhaßten Schwägerin gezwungen, die weitere Entleerung der zwischenmenschlichen Beziehungen im Minde’schen Hause) führt Grete in eine immer größere Isolation: „Und so leb ich. In meines Vaters Haus ohne Heimat! Unter Bruder und Schwester, und ohne Liebe!“ (S. 41). In ihrem .Aufsichzurück- geworfensein“ steigern bzw. verwandeln sich ihre Sehnsüchte endgültig in einen festen Selbstbestimmungsanspruch. In der Liebe zum Nachbarssohn Valtin eröffnet sich, sozusagen in der Wiederentdeckung des eigenen Ich im anderen, schließlich eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. „Ich will eigentlich viel, Valtin... Denn sieh, Liebe will ich, und das ist viel.“ (S. 38) Doch das kann nur eine partielle Lösung sein. Ihre Liebe kommt eigentlich immer nur dann voll zum Tragen, wenn sie allein sind, fern von der Umgebung, der bedrückenden, ihnen fremden Gemeinschaftlichkeit der anderen. So sind auch alle Schauplätze der Begegnung zwischen Grete und Valtin idyllisch angelegt (Garten, Wiesen, Wald, Burg usw.). Grete und Valtin kommt der Gedanke der gemeinsamen Flucht, um sich ihren bisherigen Existenzbedingungen zu entziehen, die ihnen keine Möglichkeit der vollen Selbstbehauptung mehr bieten. Der Gegensatz zwischen unbedingtem Wollen, besonders Gretes, ihrer Sehnsucht nach Heimat und Freiheit und der Möglichkeit der Realisierung ist unter den Bedingungen ihrer bisherigen Existenz, einer ihr fremd und feindlich gewordenen Welt mit ihren Normen unüberbrückbar geworden.