dabei kein Einzelfall, sondern diese Novelle befindet sich in Gesellschaft anderer Werke wie „Ellernklipp“, „Quitt“, „Unterm Birnbaum“ und in gewissem Sinne auch „Cecile“.
Die Frage ist, ob diese stiefmütterliche Behandlung eine rechtmäßige Sache sei, ob man bei der Deutung von „Grete Minde“ nicht vom Aspekt der Gesellschaftskritik ausgehen müsse, um der Novelle auf diese Weise gerecht zu werden.
Als Begründung der Zurückhaltung der Forschung beruft sich der Verf. auf eine Arbeit aus dem Jahre 1930, in der „Grete Minde“ beinahe als Begleitprodukt der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ disqualifiziert wird. Dazu möchte ich zunächst ein paar Randbemerkungen machen: erstens hat es auch nach dieser Zeit Arbeiten über Fontane gegeben, in denen auf „Grete Minde“ auch unter anderen Gesichtspunkten eingegangen wird. 1 Zum Zweiten läßt der Verf. der Beurteilung von „Grete Minde“ in der Fontane-Rezeption keine volle Gerechtigkeit widerfahren, denn bereits die zeitgenössischen Rezensionen hoben auch andere Aspekte dieses Buches hervor. 2 Der Gedanke, daß die Novelle implizit Kritik an der eigenen Zeit Fontanes übe, ist aber tatsächlich neu.
Die Problemstellung führt zu einer grundsätzlichen Überlegung in bezug auf Deutung/Interpretation eines literarischen Werks. Ohne in das Extrem eines bodenlosen Relativismus verfallen zu wollen, bin ich doch der Meinung, daß es problematisch ist, eine bestimmte Deutung als die ausschließlich richtige für ein literarisches Werk in Anspruch zu nehmen. Nicht, daß damit jeder Deutung Tür und Tor geöffnet werden sollte. Wohl aber sollte berücksichtigt werden, daß jede Deutung auf Ausgangspunkten beruht, die nach ihren subjektiven Prämissen befragt werden müssen, um damit den potentiellen Reichtum an Bedeutung in einem literarischen Werk zu bewahren. Jedem Deuter droht die Gefahr, die bisherigen Deutungen als überholt zu betrachten und nur die eigene für gültig zu halten. (Das liegt gewiß auch in der Natur der Sache.) Wissenschaftlich gesehen viel akzeptabler scheint mir eine andere Basishypothese, nach der die Ursachen des vielfältigen Echos auf ein Werk zunächst als durch das Werk selber bedingte Antworten gesehen werden. Letztlich ausschlaggebend für die Richtigkeit oder Plausibilität einer Deutung ist das Werk selbst. Je umfassender das Werk in seiner Bedeutungsvielfalt in der Deutung erscheint, um so adäquater ist diese Deutung/Interpretation. Dabei braucht eine Deutung die kritischen Knoten durchaus nicht durchzuhauen. Viel sinnvoller erscheint mir eine Deutung, die gerade sichtbar macht, wo der Leser bzw. Forscher das betreffende literarische Werk nach der einen oder nach der anderen Seite hin auslegen kann. 3
Es bedeutet m. E. ein Verkennen der Impulse, die der bisherigen Fontane- Forschung (eben der Forschung zu den aktuellen Gesellschaftsromanen) ihre Richtung gegeben haben, wenn man das Bild Fontanes als abgeschlossen, unabänderlich, unrevidierbar zum Ausgangspunkt nimmt. Gegen diese eindeutige Festlegung spricht ja das Interesse der Leser und der immer noch wachsenden Fontane-Forschung. Dieses dauerhafte Interesse ist im Gegensatz zu einer gesicherten, problemlosen Vereinnahmung Fontanes