Heft 
(1982) 33
Seite
76
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Haus und Sitt und Glauben. Und so versprich mir denn, mache dich los hier in Frieden und guten Worten, und zieh wieder heim und sage... und sage... daß ich schuld gewesen. 1 (Aufbau-Ausgabe, Bd. 3, S. 81) Hier von Solidarität (S. 9) der Unterdrückten zu reden, scheint mir abwegig. Weder bei den böhmischen Leuten auf dem Floß noch bei den Puppen­spielern fühlen Grete und Valtin sich ganz zu Hause. Valtins Mahnung zielt auf einen Platz in der Gesellschaft für Grete, der in Übereinstimmung ist mit ihrer Herkunft. Ihre Nichtzugehörigkeit zur Gruppe der fahrenden Puppen- bzw. Schauspieler wird noch betont durch das grobe, unbeteiligte Gespräch, das diese Leute in der Schenkstube führen, während Valtin oben auf dem Sterbelager liegt. Aus den Puppenspielern potentielle Revo­lutionäre zu machen, halte ich auch für ein gefährliches Unternehmen. Gewiß, sie entziehen sich dem Griff der gesellschaftlichen Ordnung. Aber ihr Spielplan richtet sich nach dem Geschmack und dem Glauben der Bürger. Und die Zerstörung des Rathauses beruht auf einem Unfall mit den benötigten Theater-Requisiten. Der Rathausbrand nimmt den Schluß in bescheidenem Maße vorweg, jedoch nicht als Protest gegen eine stän­dische Ordnung, sondern als schicksalhaftes Omen.

Damit wäre ein Begriff in die Diskussion eingebracht, der auch im vor­liegenden Aufsatz verwendet wird. Der Verf. konstatiert einmal, Fontane stelledie Tat als von der enterbten Grete Minde folgerichtig als schick­salhaft notwendig durchgeführt dar (S. 7). Uber den Inhalt des Wortes schicksalhaft bin ich aber grundsätzlich anderer Meinung, als es hier zum Ausdruck kommt. Der Verf. meint die unerschütterliche Konstellation von Habgier und Unfähigkeit auf der Seite der Stadt und Gerechtigkeits­liebe und Trotz auf der Seite der Hauptfigur. Daß damit jedoch nicht alle im Werk angelegten Handlungsmotivationen erfaßt sind, stellt der Verf. selber an Hand von Gretes Ablehnung fest, im Kloster von Arendsee eine Heimstatt zu finden. Der Verf. sieht die Begründung der Ablehnung als Konsequenz des Kampfes für die unterdrückten Klassen. Arendsee sei identisch mit Karitas, mit Almosengeben. Ich halte diese Interpretation für verfehlt, da ich nicht einsehe, warum Grete Minde als Exponent der unterdrückten Klassen aufgefaßt werden soll, und da ich außerdem die Zerstörung der Stadt nicht als Auftakt zu einer neuen Gesellschaft sehen kann. Angenommen aber, daß die Hypothese des Verfassers stimmt, so ist mir nicht deutlich, warum der mögliche Aufenthalt bei den Nonnen von Arendsee (nach der Weigerung des Stiefbruders) als karitative Neutrali­sierung des Konfliktes gesehen werden müßte. Wenn überhaupt Protest gegen diese Gesellschaft, dann doch bei diesen Nonnen. Sie sind ja der Stachel im Fleisch des evangelischen Landes. Sie sind auch Außenseiter und demonstrieren ihre Unabhängigkeit durch die Beerdigung Valtins.

Die Unmöglichkeit, Grete Minde hier eine Freistatt (1) zu bieten, ist weder von ihrer revolutionären Aufgabe noch ausschließlich von ihrer Psychologie her begründet. Sie findet neben psychologischen Faktoren ihre Motivation in einer Instanz, für die ich kein besseres Wort alsSchicksal finde.

In diesem Licht gesehen hat die Auslegung der die Zukunft vorwegneh­mendenZeichen (Grete Minde, S. 86 und 87) große Bedeutung. Die