Heft 
(1982) 33
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Berlin ab. 7 Vergegenwärtigt man sich den Assoziationshorizont von Fon­tanes Zeit bei diesem Stichwort, dann ergibt sich anhand eines zeitgenös­sischen Konversationslexikons 8 folgendes:

Johannisfest (Johannistag, Johannisnacht), das von der abendlän­dischen Kirche früh dem Weihnachtsfest gegenübergestellte Geburts­fest Johannis des Täufers (24. Juni), kirchlich jetzt meist am nächstliegenden Sonntag gefeiert; in der morgenländischen Kirche das Fest Johannis Enthauptung (s. d.). Da das J. um die Zeit der Sommersonnenwende fällt, wo in vorchristlicher Zeit im Norden das Fest der Sonnenhöhe gefeiert wurde, so heißt das J. noch jetzt häufig Sonnenwendfest oder Mitsommerfest (engl. Midsummerday, schwed. Midsommarsdag), und viele daran haftende Gebräuche stammen aus heidnischer Zeit. So namentlich das Johannisbad, die Blumenopfer an die Flüsse und die Johannisfeuer, die noch heute in vielen Gegen­den am Vorabend angezündet werden und früher oft unter Teilnahme der Obrigkeit und Fürsten auf Markt- und Spielplätzen üblich waren. Man tanzte singend um sie herum, sprang durchs Feuer, die jungen Brautpaare zusammen, um sich von allen bösen, kranken Stoffen zu reinigen, und warf nicht nur Blumen und Kräuter in die Flammen, damit gleich ihnen alles Unglück in Rauch aufgehe,, sondern auch Pferdeköpfe, Knochen und selbst lebende Tiere, die einst als Opfer­gaben gedient haben. In Skandinavien wird die ganze helle Nacht von dem jungen Volk durchjubelt. Die hier und da herrschende Sitte, am J. die Gräber mit Blumen zu schmücken, ist wahrscheinlich von den Johanniskirchhöfen ausgegangen, auf denen an diesem Tag ihr Kirchweihfest gefeiert wurde. Dagegen sind die zahlreichen Mittel, am J. die Zukunft zu erforschen, Überbleibsel aus heidnischer Zeit, wo der Johannistag als sogen. Lostag galt.

Es ist geradezu verblüffend, wie viele der in diesem kurzen Artikel genann­ten Elemente in Fontanes Roman in Zusammenhang mit Käthes Reise wieder auftauchen und zur Klärung ihrer Funktion und Bedeutung bei­tragen können. Daß das Johannisfest am Tag des höchsten Sonnenstandes stattfindet, bildet einen weiteren Beitrag zum Motiv des Sonnenscheins, das schon erläutert worden ist. Das junge Volk feiert die Liebe und springt dabei durchs Feuer, an dem sich Käthe zu verbrennen droht. Die Riten der Johannisnacht dienen einem Reinigungsprozeß, und ein solcher Prozeß der Selbsterkenntnis steht im Zentrum von Käthes Kur, denn sie kommt noch blonder geworden (S. 128) aus Schlangenbad zurück, obwohl Frau Salinger darauf wird ausdrücklich hingewiesen im Gegensatz zu ihrer ebenfalls blonden Tochterbrünett (S. 125) ist, so daß Käthe entsprechend dem Projektionsverfahren, nach dem sich ihr Sündenbewußtsein in den Salingers spiegelt, vorübergehend dunkler erscheint. Schließlich beleuchtet der Lexikontext mit dem Hinweis auf diehier und da herrschende Sitte, am J. die Gräber mit Blumen zu schmücken, auch die Parallelität von Käthes und Bothos Entwicklung während ihrer Trennung, denn das Blumenopfer bringt Botho am Grab von Frau Nimptsch (s. u.). Daß Käthe ein Riesenbouquet mit zurückbringt,die letzte Huldigung der von der

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