reizenden Berliner Dame ganz entzückten Schlangenbader Hauswirtin“ (S. 151), bildet dazu entsprechend dieser Parallelität das Gegenbild, steht aber auch in Beziehung zu dem Sträußchen auf dem Paket mit Lenes Briefen, die Botho samt den Blumen verbrennt: Lenes kleiner Strauß geht, und Käthes großer Strauß kommt. Kaum ist Käthe abgefahren, da entfernt sie sich nicht nur räumlich von Berlin, von der preußischen Hauptstadt, von ihrem Mann. Das ist der Sinn der Orte, von denen aus sie die Postkarten schreibt. Auf der ersten Station ist sie noch auf gut preußischem Gebiet: Brandenburg, wo es demgemäß auf dem Bahnhof von Militär wimmelt. Dann aber schreibt sie aus Hannover, dem ehemaligen Zentrum des welflschen Königreiches, das die Preußen 1867 nach dem Sieg über Österreich, auf dessen Seite die Hannoveraner mitgekämpft hatten, annektierten und wo der Widerstand gegen Preußen noch erheblich war. Käthe selbst weist auf diesen ,,welfische[n] Antagonismus“ in ihrer Karte hin und findet ihn „schmerzlich“. Es muß den Leser deshalb aufs äußerste verblüffen, daß sie nach ihrer Rückkehr Botho Dinge von Mr. Armstrong erzählt, die ihn dazu veranlassen, diesen „verkappter Welfe“ zu nennen, woraufhin Käthe, anstatt wie vorher gegen die Welfen Stellung zu nehmen, erwidert: „Gewiß. Und ich stand immer auf seiner Seite, wenn er sich in solchen Sätzen erging.“ Käthe also ist zur Welfin geworden und steht damit gegen Botho an der Seite von Mr. Armstrong! Auch der dritte Reiseort Köln weckt eher antipreußische Assoziationen, denn das Rheinland war 1815 nach der Auflösung des pronapoleonischen Rheinbundes Preußen einverleibt worden und hielt das ganze 19. Jahrhundert hindurch als vorwiegend katholisches Gebiet im protestantischen Preußen antipreußische Gefühle wach. Käthe also entfernt sich auch emotional von Preußen, und doch
— wohin immer sie fährt: sie bleibt auf preußischem Gebiet und kehrt als bessere Ehefrau zurück. In Köln übrigens wird Frau Salinger auch in den sozialen Kontext eingeordnet, denn sie wird „durch Oppenheims Equipage“ (S. 126) vom Bahnhof abgeholt. Soziale Wandlungen deuten sich an: Das jüdische Kapital und der alte preußische Adel im selben Zugabteil, am selben Kurort, wo sich ohnehin eine etwas gemischte Gesellschaft zusam- menflndet. Was sie fast aufdringlich auszeichnet, ist ihre Internationalität: der Schotte Mr. Armstrong, die Wienerin Frau Salinger, ein „phänomenal reichefr] Amerikaner“, ein „absolut kakerlakige[r] Schwede“, eine „phaszi- nierend schöne Spanierin“ (S. 157) und die Russin, „die natürlich gar keine Russin war“ (S. 160)” — sie alle sind in Schlangenbad friedlich vereint, und in ihrer Gesellschaft wird Käthe symbolisch der weiten Welt ausgesetzt, bevor sie in der Heimat ihren Platz sinnvoll einnehmen kann — ein Gedanke, der in Fontanes letztem Roman Der Stechlin immer wieder begegnet. Wieder zeigt sich aber hier darüber hinaus, wie parallel Käthes und Bothos Erfahrungen verlaufen, denn dieser begegnet einer ganz ähnlich internationalen Gesellschaft auf dem Weg zum Friedhof.
Mr. Armstrong — so erfahren Botho und der Leser aus Käthes Erzählungen
— stammt aus einem schottischen Clan, aus dem sehr viele Mitglieder „wegen Pferdediebstahl von den Engländern, unseren damaligen Feinden, gehenkt worden“ sind. Da „die schottische Kriegsführung [...] dreihundert Jahre lang aus Viehraub und Pferdediebstahl bestanden“ habe, kann er
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