Heft 
(1982) 33
Seite
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I

sonne wohl Bothos eigenen Zustand der Unschuld, denn so wie Käthe zwischen Mutter und Tochter Salinger in ihrer Sympathie schwankt, hat Botho sich nun von seiner sexuellen Beziehung zu Lene weggewendet und seine ausschließliche Aufmerksamkeit der alten Pflegemutter geschenkt. So erwirbt er ein Stück des Paradieses wieder, aus dem er und Lene in Hankeis Ablage vertrieben worden sind. Bothos Fahrt zum Friedhof ist voller fast traumartiger Szenen.Das schwarzgekleidete Fräulein, bei dem er den Immortellenkranz kauft, hatetwas ridikül Parzenhaftes (S. 136); nicht einmal die Schere fehlt, mit der sie den Lebensfaden ab­schneidet. Die gekauften Kränze liegen dann auf dem Sitz der Kutsche wie später Käthes großer Blumenstrauß. Und wie Käthe in Schlangenbad in eine etwas dubiose internationale Welt gerät, so fährt nun auch Botho durch eine Welt mit Menschen und Gegenständen aus aller Herren Länder, und es scheint, als sei dies die Repräsentation des menschlichen Jahrmarktes an der Schwelle des Todes:

Rechts, auf wohl fünfhundert Schritt Entfernung hin, zog sich ein Plankenzaun, über den hinweg allerlei Buden, Pavillons und Lam­penportale ragten, alle mit einer Welt von Inschriften bedeckt. Die meisten derselben waren neueren und neuesten Datums, einige dagegen, und gerade die größten und buntesten, griffen weit zurück und hatten sich, wenn auch in einem regenverwaschenen Zustande, vom letzten Jahr her gerettet. Mitten unter diesen Vergnügungs­lokalen und mit ihnen abwechselnd, hatten verschiedene Handwerks­meister ihre Werkstätten aufgerichtet, vorwiegend Bildhauer und Steinmetze, die hier, mit Rücksicht auf die zahlreichen Kirchhöfe, meist nur Kreuze, Säulen und Obelisken ausstellten. All das konnte nicht verfehlen, auf jeden hier des Weges Kommenden einen Ein­druck zu machen, und diesem Eindruck unterlag auch Rienäcker, der von seiner Droschke her, unter wachsender Neugier, die nicht enden­wollenden und untereinander im tiefsten Gegensätze stehenden An­preisungen las und die dazu gehörigen Bilder musterte.Fräulein Rosella das Wundermädchen, lebend zu sehen; Grabkreuze zu billig­sten Preisen; amerikanische Schnellphotographie; russisches Ball­werfen. sechs Wurf zehn Pfennig; schwedischer Punsch mit Waffeln; Figaros schönste Gelegenheit oder erster Frisiersalon der Welt; Grab­kreuze zu billigsten Preisen; Schweizer Schießhalle:

.Schieße gut und schieße schnell,

Schieß und triff wie Wilhelm Teil. 1

Und darunter Teil selbst mit Armbrust und Apfel.

Endlich war man am Ende der langen Bretterwand, und an eben diesem Endpunkte machte der Weg eine scharfe Biegung auf die Hasenheide zu, von deren Schießständen her man in der mittäglichen Stille das Knattern der Gewehre hörte. Sonst blieb alles auch in dieser Fortsetzung der Straße so ziemlich dasselbe: Blondin, nur in Trikot und Medaillen gekleidet, stand balancierend auf dem Seil, überall von Feuerwerk umblitzt, während um und neben ihm allerlei

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