Tochter als Interpretin des Zusammenhangs zwischen Natursymbolik und Gesellschaftlichkeit charakterisiert (S. 113 ff.). Die plebejischen Frauengestalten sind demgegenüber als praktische, handlungsmäßige Verunsicherungen des tradierten Begriffs des Preußentums gesehen und gewertet. „Am zukunftsträchtigsten ... schildert Fontane die Vertreterinnen des Kleinbürgertums, jene Verknüpfung von liebenswürdiger Menschlichkeit und realistischer Selbsteinschätzung, von .hoffnungsvoller Nüchternheit und skeptischer Klarsicht*, die sich im menschlichen Alltag, aber gleichwohl nicht alltäglich, bewährt. Die gelungenste Figur dieses Versprechens auf die Zukunft ist wohl die .kleine Demokratin* LeneNimptsch; sie bedeutet wirklich den .Triumph des Plebejisch-Volkshaften über die Bürgerlichkeit“*, heißt es zusammenfassend auf S. 144, auch unter Anschluß an Georg Lukäcs und Hans-Heinrich Reuter. Mathilde Möhring wird von dieser Sicht als „Verkürzung des Humanen“ (S. 146), als bourgeoise Zerstörung des humanen Modells bewußt, abgesetzt.
Obgleich nun der Entmystifizierung und Säkularisierung des Romantischen in der Entwicklung Fontanes, speziell im Aufbau seiner Frauengestalten, intensiv nachgegangen und obwohl zwischen den aparten, zum Teil extravaganten positiven adligen und den menschlich normaleren plebejischen Frauenfiguren sorgfältig differenziert wird, bestätigt sich doch, was sich am Schlüsse des allgemeinen Einleitungsteiles (S. 55) bereits ankündigte: Norbert Frei bezeichnet den menschlich-poetischen „Uberschuß“ 1 in den Frauengestalten, ihre menschlich-moralische Überlegenheit über die verdinglichte Gesellschaft insgesamt als „romantisch“ (S. 68, 112, 139). Im Sonderling Alonzo Gieshübler und vor allem in den Frauengestalten verwirklicht sich für ihn in Abstufungen die von Fontane deklarierte Synthese von Realismus und Romantik. Gewiß, Fontanes frühes Schaffen enthält romantische Elemente, schottische Balladen wie das „Lied des James Monmouth“ oder „Archibald Douglas“ sind gar Ausdrude einer plastischen konservativen Spätromantik. Fontane hat sich 1873 und 1889 theoretisch prinzipiell zur Symbiose von Realismus und Romantik bekannt, zur Verbindung von Realismus und gesunder, ewiger „Altromantik“, nicht mit gelehrtenhafter oder hysterischer Neuromantik, nicht mit vergänglichem Romantizismus. Er hat in seinen Briefen wiederholt die Kunst- und Romantik-Feindschaft der Bourgeoisie beklagt, aber da fungiert Romantik eigentlich nur als Kontrastbegriff zur Prosa und zum Utilitarismus der Bourgeoisie. Romantik begegnet uns im kritisch-realistischen Spätwerk Fontanes nur als kritisierte Pseudoromantik, als entlarvte Sentimentalität Jenny Treibeis, als zurückgewiesene Spukromantik in „Effi Briest“. Positive, neue Romantik ist da nicht zu entdecken. Das sah bereits Conrad Wandrey, der, aus dem George- und Gudolf-Kreis kommend, für Romantik doch gewiß empfänglich war. Die Frauengestalten Fontanes besitzen Realitätssinn und natürliche Menschlichkeit, aber kein romantisches Ingrediens.
Abgesehen davon, daß Fontanes Äußerungen über die Synthese von Realismus und Romantik nicht so innerlich angeeignet klingen wie andere seiner theoretischen Bekenntnisse — Norbert Frei hat dem Theoretiker doch zu
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