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Deutsche Noman-Sibliothek.
dem heißen Augusttage vom Wasser her herüberzog und ihre heißen Gesichter fächelte.
Da war auch eine Gesellschaft von Theerjacken mit ihren Dirnen, welche von dem nahen St. Pauli herunterkamen, lauter bemalte, aufgeputzte und überlaute Geschöpfe, die, vom Grog illuminirt, sich und die Anderen mit saftigen Scherzen regalirten. In einiger Entfernung von diesen stand eine Gruppe ernster Geschäftsleute, welche sich halblaut, aber eifrig im Schatten der Mauer unterhielten. Einzelne Pärchen schleuderten ungeduldig auf und ab, Commis zumeist mit ihren „Damen", welchen die Ankunft des Dampfers noch zu thun gab, eine lästige Pflicht, die sie abhielt, bei Mutzenbecher oder in der Londontavern zu soupiren.
Vornehm abseits stand ein großer, korpulenter Herr, in Frack und weißer Halsbinde, neben einem geschlossenen Wagen mit glänzenden Laternen und einem galonirten Kutscher auf dem Bock. Ein galonirter Bedienter und ein Mann in Civilkleidern, ein Kommissionär, hielten sich ein wenig hinter demselben und unterhielten sich flüsternd miteinander in Hamburger Mundart.
„Bleibt heute unvernünftig lange, der Steamer."
„Er müßte eigentlich seit sechs Uhr schon binnen sein."
„Und es ist ein gutes Schiff, die Frisia."
„Freilich, aber bei der starken Ebbe heute."
Immer ungeduldiger wogte es auf und nieder an diesem Endpunkte der großen Wasserstraße, welche zwei Kontinente miteinander verbindet. Mancher Fluch mischte sich ein, denn dort oben wohnt ein kerniges, urwüchsiges Volk. Von dem, was ein Hamburger an einem Tage ißt, können drei Sachsen oder Thüringer eine halbe Woche leben, und Zeit ist dort Geld.
Das heisere Klirren einer Kette, — alle Blicke flogen hinauf, jede Brust fühlte sich erleichtert: der Sigualkorb war herunter, nun mußte der Steamer gleich bei Altona zum Vorschein kommen.
Und er kam; die Lichter an seinem Top wurden sichtbar, aus dem Gewühl der Masten heraus arbeitete er sich mit Macht. Ein Herzudrängen der Menge, Rusen und Stimmengewirr, erhöhtes Leben überall, besonders auf den Landungsbrücken; selbst die Kutscher wachten auf aus ihrem Halbschlaf und die Pferde spitzten die Ohren, die „Damen" blieben zurück, die Herren Commis aber stürzen sich tapfer in das dichteste Gedränge. Schon wird der dunkle Riesenkörper der Frisia über dem magisch glänzenden Wasserspiegel sichtbar, wie ein Leviathan schiebt sich das Schiff mit halber Kraft heran, vor dem scharfen Bug rauscht und glitzert die zweitheilige Wassergarbe, welche schäumend nach rückwärts sprüht. Mit großer Vorsicht gleitet der Koloß heran und nicht mit Unrecht, denn das Fahrwasser ist eng und haarscharf nur zog an derselben eine ungeschickt gesteuerte, stromabwärts schwimmende Bark vorüber.
Jetzt glitt die haushohe Masse dichter heran, man unterschied bereits die Köpfe der Menschen, welche über die Schanzbekleidung herüber sahen, hörte das laute Prasseln des Ventils und die Kommandoworte des Kapitäns; noch etliche Minuten und die Frisia lag fest an der Landungsstelle, die Fallreps fielen
herab und es begann das Ausschiffen. Im Scheine des Mondes und der Laternen schob sich eine dunkle Menschenwoge, welcher etliche Uebereilige voran hasteten, vom Deck herunter, auf die breite Landungsbrücke. Die Menge am Ufer spaltete sich und gestattete ihr, durch sie hindurch Zu fließen. Ueber die Köpfe der Anderen hinweg rief man Namen und Befehle; hier fielen sich schon die Pärchen in die Arme und feierten ein frohes Wiedersehen, dort drückten sich Freunde die Hände, herzu flogen die Wagen, die Ankömmlinge auszunehmen, welche zumeist nach vierzehn Tagen zum ersten Male wieder Land unter ihren Sohlen fühlten. Nun kamen auch schon die Bootsleute mit dem Gepäck, mit einigen Nachzüglern dazwischen, Wagen auf Wagen rollte davon, die Commis faßten ihre Damen unter, nachdem sie ihre Geschäfte in Eile abgewickelt hatten, und zogen mit ihnen von dannen nach irgend einem Gartenlokal. Der Menschenschwarm sing an sich zu verlaufen, selbst die Matrosen mit ihren bemalten Mädchen fanden nichts mehr zu schauen und steuerten wieder aufwärts nach dem Spielbudenplatz und den Tanzkneipen.
Dagegen hielt der Wagen mit dem galonirten Bedienten noch immer ans demselben Platze, der stattliche Herr mit dem Frack aber stand nicht mehr neben den Köpfen der Pferde, sondern hatte sich der Landungsbrücke genähert. An der Barriere derselben, gewissermaßen als vorgeschobener Posten, stand der Bediente, während der Kommissionär längst hinter der Schanzverkleidung des Schiffes verschwunden war, nachdem er kurze Rücksprache mit einem Herrn mit einem goldenen Streifen an der Mütze genommen hatte.
Jetzt kam dieser plötzlich wieder zum Vorschein zwischen den Leuten, die dort mit Kisten und Koffern hantirten, und zwischen Bergen von Gepäck.
„Achtung!. .. Sie kommen!" rief er schon von Weitem und winkte lebhaft mit dem Arm, woraus der Herr im Frack noch näher herzutrat und die Cigarre sortwarf, welche ihm die Langeweile des Wartens vertrieben hatte.
„Komische Gesellschaft," raunte der Kommissionär ihm hastig zu, „ein ganzes Raritätenkabinet."
Der vornehme Herr erwiederte kein Wort, sondern begab sich aus die Landungsbrücke; dort oben wurden soeben etliche dunkle Gestalten sichtbar, denen ein Einzelner geschäftig voraneilte.
Es war dieß der Kurier und er wandte sich mit dem Instinkte solcher Leute sofort an den Herrn im Frack, den Abgesandten des Hotels, an welches er telegraphisch die Ankunft seiner Herrschaft gemeldet hatte.
Einige schnell in englischer Sprache gewechselte Worte, und Jener deutete aus den Wagen.
„Und für das Gefolge?" fragte der Andere.
„Dort stehen Droschken, — ich habe zwei derselben mit Beschlag belegt."
„^.ll rigllt, 8ir! Hier ist das Verzeichniß der Bagage, — dreiunddreißig Stück."
Der Herr im Frack nahm den Zettel und reichte ihn, ohne rückwärts zu sehen, dem Kommissionär.
Jetzt zogen Beide den Hut, denn die Fremden waren dicht heran, und trotzdem der Herr im Frack fünfzehn Jahre nun schon Geschäftsführer eines Welthotels in einer großen Hafenstadt war und als