Heft 
(1885) 27
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Die Erbtante von Johannes van Dervall.

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solcher vielerlei Ungewöhnliches zu sehen bekommen hatte, riß er doch die Augen gewaltig auf, als er den seltsamen Zug im Scheine der Laternen musterte, der jetzt herankam, der Kommissionär hatte Recht: ein wahres Raritätenkabinet, ein Fastnachtsanfzug mitten im Sommer.

Voran schritt ein schlanker Bursch, dessen schmales gelbes Gesicht ein blendend weißer Turban überragte, ein Hindostaner mit dunklen, melancholischen Angen, eingehüllt trotz der Hitze des Tages in ein dickes, warmes Gewand, welches ebensogut ein Kaftan, als ein langer Paletot sein konnte, unter dem die weiten blauen Beinkleider und dunklen Pantoffeln hervor­schauten. Er trug eine kleine Reisetasche in seinen gelben, schmalen Händen und einen Hund, aber das Thierchen regte sich nicht, denn es war ausgestopft, seine großen, verwunderten Augen waren von Glas.

Dann kam eine unförmige, ganz in kostbare Shawls eingewickelte Gestalt, geführt aus der einen Seite von einem alten Kerl mit trockenen Zügen, der einen Livrsehut trug und eine Redingote von gelbem Tuch, nach englischem Schnitt zugeknöpft bis an den Hals, als fröre er mitten im Sommer, und mit einer Halsbinde, welche das halbe untere Gesicht verbarg. Der alte Knabe hielt mit der ernstesten Miene von der Welt einen großen Schirm über die Gebieterin ausgespannt, als fürchtete er, der Mond­schein könne ihren bräunlichen Teint verderben. Auf der andern Seite unterstützte sie ein Gentleman, in einem untadelhaften europäischen Anzuge, der ab und zu aus Englisch eine teilnehmende Frage an die-un- förmige Masse richtete, welche mit einem dumpfen Grunzen beantwortet wurde.

Dann kam mit geringem Abstande eine jugend­liche weiße Dame, in einem einfachen, eleganten Reisekostüm, neben der mit kleinen, ungewissen Schritten eine zarte, seltsam verhüllte weibliche Ge­stalt herschwankte, deren langer Schleier ihre Züge völlig verbarg.

Wenn Die nur nicht ersticken!" spottete einer der Matrosen, indem er ihnen lachend nachschaute.

Der Haufen Kleider, das ist die Begum," flüsterte der Kommissionär dem Geschäftsführer in's Ohr, der leicht mit dem Kopfe nickte. Im nächsten Augenblick wurde dieser von der eben erwähnten jungen Dame angesprochen, welche sich in deutscher Sprache erkundigte, ob auch die Zimmer, wie bestellt, gehörig geheizt wären; nachdem befriedigende Ant­wort erfolgt war, näherte man sich dem Wagen.

Die Gaffer, welche sich herzudrängten und sich vor Allem über den Sonnenschirm im Mondenschein belustigten, sahen, wie man die dicke Masse behutsam in die Kutsche hob, und wie die klebrigen ebenfalls einstiegen.

Ein nochmaliges:^Il rigbt, 8ir!« und die Pferde zogen an, die fremdartige Gesellschaft fuhr von dannen, durch die engen Straßen am Hafen, hinein in die hellerleuchtete Stadt und zum Alsterbassin, wo eine ganze Flucht von Zimmern für sie bereit gehalten wurde.

Eine Begum . . . eine indische Wittwe, mit Millionen im Vermögen," hieß es im Hotel, so ging es von Mund zu Mund; als aber hernach die Wiß­

begierigen in das Fremdenbuch schauten, wurde ihr Interesse nicht wenig abgeschwächt, denn statt eines einer Begum würdigen Namens fanden sie verzeichnet: Mrs. Macduff, nebst Begleitung und Dienerschaft fünf Personen. Auch im klebrigen fand die Neu­gierde keine Nahrung, denn die Fremden hielten sich streng in ihren Räumen verborgen, bis auf den europäischen Diener, einen alten, schweigsamen, groben Schotten, und den Herrn in Civil, ein Gentleman, welcher mit dem Kurier am nächsten Tage schon wieder nach England zurückreiste. Die Indier aßen und tranken nach europäischer Sitte, und der Zimmer­kellner, welcher sie bediente, gelangte niemals weiter, als bis in die vordersten Räume, wo die Gesell­schafterin oder der grobe Schotte ihn abfertigten.

Zweites Kapitel.

In dem offenen Fenster des Hotels lehnte an einem der nächsten Morgen die Gesellschafterin der Lady Macdnff und schaute hinunter auf die Straße und das weite Bassin der Binnenalster, bisweilen auch in träumerischem Versunkensein über den schmalen Streifen dort hinten, den Eisenbahndamm mit der Lombardsbrücke, hinweg, nach der größeren, von Villen und Wald umsäumten Wasserfläche in der Ferne, welche ein dunkler Streifen abschloß.

Das Zarte, von der Sonne der Tropen nur ganz leicht gebräunte Gesicht der Dame beschatteten die Gedanken, wenn nicht die Sorge. Ihre schmale Hand, welche sich eben noch ans die Brüstung stützte, legte sich fest gegen die Stirn und das dunkle, reiche Haar, das tiefblaue Auge, dem man es ansah, daß es heiter, ja selbst übermüthig strahlen konnte, blickte in sich hinein, beinahe düster. Sein ernster Aus­druck bildete einen scharfen Kontrast zu den lieblichen Zügen, Zu den weichen, lebenswarmen Konturen des reizenden Gesichts.

Zwar in ihrer Nähe befand sich Niemand, der sie hätte stören können in ihrer Betrachtung, aber der Glanz des jungen Sommertages und das lebendige Treiben hier draußen hätten sie doch wohl Heraus­reißen dürfen aus dieser nachdenklichen Stimmung.

Das Leben der großen Handelsstadt pulsirte mächtig hier unten auf den eleganten, baumbepflanzten Kais der Binnenalster, und fast noch lebhafter ging es unten auf dem Wasser zu: einer der kleinen Dampfer nach dem andern schnob heran oder flog hinaus, ganze Wogen von festlich geputzten Menschen herzu bringend, welche plaudernd und lachend die breite Treppe gerade unter dem Hotel hinauffluteten, oder beladen mit Passagieren nach der Uhlenhorst hinauslaufend.

Ueber die silbernen Streifen fort, welche der Kiel dieser schnellen Boote in der grünen Flut hinter­ließ, glitten pfeilschnell jene eleganten Segelboote, auf denen die jungen Hamburger den freien Sonntag­morgen zu genießen lieben, oder schob sich die schwere Jolle, deren Ruder wie Spinnenfüße über das Wasser krochen.

Zahlreiche Schwäne belebten außerdem die Flut, nur hielten sie sich heute früh in einiger Entfernung, denn in der Nähe des Jungfernstiegs hielt der große