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Deutsche Noman-Si-liothek.
Aber vor dem Palais selber herrschte Leben, und nicht nur Azaleen, Rhododendren und andere hohe Topfgewächse, sondern auch allerlei Kästen und Futterale mit Musikinstrumenten und endlich Körbe, darin kunstvoll aufgethürmtes Gebäck die schrägstehenden Deckel wie Zur Seite geschoben hatte, wurden abgeladen.
Kein Zweifel, der alte Graf gab heute sein Winterfest.
Inzwischen war die zwölfte Stunde herangekommen, das Gewölk Zog ab, der Himmel begann zu blauen, und als angesichts dieser erfreulichen Zeichen ein in der Nähe wohnender Taubenzüchter ein Volk Tauben in die Lust steigen ließ, um den bevorstehenden Wetterumschlag aller Welt Zu verkünden, fuhr vor dem Petöfy'schen Palais ein elegantes Kabriolet vor. In dem Hause gegenüber aber, in dessen erstem Stock ein großes Putz- und Konfektionsgeschäft war, erschienen sofort drei, vier Mädchenköpfe, junge Dcmoiselles, am Fenster und sahen neugierig aus den jungen Offizier, der eben die Zügel in die Hand seines Dieners legte.
„Ah, der Herr Neffe, Graf Egon!" rief eines der jungen Mädchen. „Und wie ihm der Attila sitzt! Ein Husar ist doch das Schönste."
Niemand widersprach, entweder weil man derselben Ansicht war, oder vielleicht auch, weil die Sprecherin ein- für allemal als Autorität in derlei Dingen einschließlich aller Angelegenheiten des Hauses Petösy galt; der junge Kavalier aber, der zu dieser Bemerkung über die Vorzüge von Husarenthum und Attila Veranlassung gegeben hatte, wandte sich seinerseits vom Gitter her rasch auf das Portal Zu, vor dessen Eingang ein pechschwarzer Walache stand, ein Ideal von einem Thürhüter, groß und dick und mit Zwei Schnurrbärten, von denen der eine, der kleinere, wie ein Dachreiter aus dem andern saß.
„Noch Zu Haus?" fragte der als Graf Egon und Neffe des Hauses bezeichnte junge Offizier und stieg, als der Walache gravitätisch sein „Ja" genickt hatte, die breite, nur wenig Stufen zählende Marmortreppe hinauf.
Ein langer Korridor lief aus das Frontzimmer zu, das von Graf Adam bewohnt wurde. Niemand erschien, um zu melden, auch Andras nicht, der erst sechzehnjährige Groom und Liebling, der seit Kurzem an des erkrankten Kammerdieners Stelle den persönlichen Dienst beim Grasen hatte. So trat der Neffe denn unangemeldet ein, streckte sich ohne Weiteres, den Oheim bei der Toilette vermuthend, in einen Schaukelstuhl und musterte das Zimmer, das er von lang her kannte, doch so genau zu betrachten nie zuvor Gelegenheit gehabt hatte. Der Charakter seines Bewohners sprach sich in Allem aus und ver- rieth gleichmäßig den Militär wie den Junggesellen und Theaterhabitus. Vor dem Fenster stand ein beinahe mannshohes Bauer mit einem Kakadu darin, während im klebrigen alle Wände mit einer ganzen Galerie von Bühnengrößen, unter denen die Rachel den Ehrenplatz einnahm, überdeckt waren. Ebenso lagen Albums umher, ans deren einem in großer Golddrnckaufschrift „Oollsstiou ok bsautis^ Zu lesen war.
Egon begann eben darin Zu blättern, als er den kleinen, staffeleiartigen, immer das Neueste tragenden Ständer eines aquarellirten Blattes gewahr wurde. Neugierig trat er heran und sah nun, daß es die Wolter als Meffaline war in jenem verführerischen Moment, wo sie den Sohn des Paetus aus einem Blumenlager empfängt.
Egon war noch in Bewunderung vertieft, als der alte Graf eintrat und den Neffen in einem eleganten Visitenanzuge, den er augenscheinlich eben erst angelegt hatte, begrüßte.
„Nun, Egon, zufrieden mit dem Bilde?"
„Süperb!"
„Mein' ich auch. Makart hat sich hier selbst ubertroffen. Ich Ziehe diese Skizze seinen größeren Bildern vor. Ueberhaupt in dem, was Künstler Ausführung nennen, geht so viel von der Hauptsache verloren. Was der Moment schafft, ist immer das Beste. Byron hatte ganz Recht, sich mit einem Tiger zu vergleichen, der Alles gleich im ersten Sprunge packen müsse. Gleich oder gar nicht. So liegt es."
„Die Fachleute denken meist anders darüber," entgegnete der Neffe, der die Vorliebe des Oheims für Kunstgespräche kannte. „Hört man sie, so sollte man glauben, skizziren könne Jeder und Ideen haben sei so ziemlich das Trivialste von der Welt. Aber lassen wir das. Ich komme, nach Deinen Befehlen zu fragen. Es wird heute getanzt werden. Für den Fall, daß Du noch Aufträge hast, steh' ich mit meiner ganzen Zeit zu Diensten. Ich habe mich beurlaubt und bitte Dich, über mich zu verfügen."
„Obligirt, Egon. Aber es ist Alles im Gange, die Cotillonüberraschungen mit eingeschlossen, und das Eine, was noch fehlt, muß ich selber beschaffen, oder sag' ich lieber, in Ordnung bringen. Eben deßhalb siehst Du mich bereits gestiefelt und gespornt. Es handelt sich um die reizende Franz, die heute, Pardon, wenn ich etwas übertreibe, die Königin unseres Festes sein soll."
„Sagen wir die Nouveauts."
„Gut, auch das. ,Nouveauts'; nicht übel. Und um diese Nouveauts soll ich kommen, weil es der unbedeutenden kleinen Stiglmayr, die gerade so hausbacken ist wie ihr Name, beliebt hat, sich einen Katarrh anznschaffen oder eine Migräne. Nun soll die Franz statt ihrer spielen. Lies. Es ist zum Rasendwerden. Du siehst mich auf dem Wege zu ihr. Es wird sich doch unter den zwanzig jungen und alten Damen irgend eine Vertretung finden lassen, ohne gerade die Franz für diese Rolle heran- znziehen. Wirklich, so mal ä propos wie möglich! Denn gerade heute hatt' ich vor, sie Deiner Tante Judith vorzustellen, woran mir, offen gestanden, liegt. Den Rest überlass' ich schließlich der Franz selbst, ihrer Klugheit und ihrer Anmuth."
„ Anmuth?"
„Ja; so sagt' ich. Ueberrascht Dich das Wort?"
„Einigermaßen. Um anmuthig zu sein, ist sie nicht mehr jung genug. Es gibt eine Franenanmnth von vierzig, aber keine Mädchenanmnth von sechsund- Zwanzig."
„Du gehst höher hinauf, als die Galanterie gestattet, oder meinetwegen auch weiter zurück."