Graf Petöfy von Th. Fontane.
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„Und ich meinerseits fürchte nur, daß das Kirchenbuch noch weiter zurückgeht."
„O, nichts davon. Es gibt nichts Gröblicheres als Kirchenbücher. Aber alt oder jung, ich habe sie gern und mag sie für mein Fest nicht entbehren, am wenigsten heut. Scheitert Alles, so muß sie noch nach der Vorstellung erscheinen. Das dumme Ding von Lustspiel, das gegeben wird, kann doch höchstens . vier Akte haben, vielleicht nur drei; gegen Neun ist Alles aus, und das Fräulein hat noch vollauf Zeit zur Toilette."
„Wird aber angegriffen sein."
„Um desto besser. Ich habe das beobachtet.
Unsere Theaterdamen sind nie reizender als unmittelbar nach dem Spiel. Sie haben dann noch etwas von dem künstlerischen Hochflug und sind doch zugleich ^ leise satiguirt von der Anstrengung. Dieser Kampf ist entzückend. Da xou langulssant. Aber wem sag' ich das?"
Egon wollte sich mit Rücksicht auf die Visite, die der Oheim noch vorhatte, von seinem Platz erheben, der alte Graf aber hielt ihn zurück und sagte:
„Noch ein Wort, ehe ich Dich fortlasse. Du kennst Tante Judith besser als ich, — Geschwister kennen sich eigentlich überhaupt nicht, — wogegen Du des Vorzugs genießest, nur ihr Neffe Zu sein, und so sage mir denn, glaubst Du, daß wir der Tante die Franz plausibel machen oder mit anderen Worten, daß ich ihr zumuthen darf, sie bei nächster Gelegenheit in ihren xotit eorelo zu ziehen? Haben wir Chancen ff oder nicht? Judith ist im Ganzen genommen ohne , Standesvorurtheile, was ich gerecht genug bin ihr ; als eine der wenigen Segnungen ihrer strengen Kirch- ? lichkeit in Rechnung zu stellen. Jedenfalls bin ich . mitunter überrascht, sie so zu sehen, wie sie ist. ff Aber eine Schauspielerin! Und nun gar noch eine . solche! Ja, wenn es eiue Tragödin wäre, Volumina ff oder Arria oder mindestens die alte Galotti. Das - Fach der Heldenmütter ist wenn nicht geradezu sakrosankt, so doch immer mehr oder weniger Zulässig, ff eiue Respektabilitätsflagge, die das Fahrzeug deckt, ff Aber Liebhaberin, Soubrette! Soubrette, die reine ff Pirateuflagge!"
ff „Doch wen soll sie rauben?" ff „Vielleicht mich," lachte der Oheim und fuhr ffff dann fort: „Es gibt keine Thorheit, deren sie mich nicht für fähig hält. Sie würde schließlich jede ver- ff zeihen, aber die tollste hält sie für möglich. Sie ff sieht in mir einen ewigen Jüngling und beweist ff mir, daß mein Leben eine Kette von Jugendthorheiten ff sei, ja, sie hat sich, glaub' ich, in den Kopf gesetzt, ff eine Jugendthorheit werde auch mein Leben beschließen, ^ff Zuletzt wär' es nicht das Schlimmste. Jedenfalls -ff gut ungarisch, und am Ende stirbt sich's besser ff jugendlich als ältlich."
ff In diesem Augenblick hörte man Militärmusik, ff und der alte Graf erhob sich. „Ein Uhr. Es ist ff- die höchste Zeit. Und nun mache der Tante drüben .ff Deinen Besuch und sondire. Du mußt sehen, aus .ff des Fräuleins Namen einigen Nutzen zu ziehen, ff ,Franziska Franz' — man kann kaum österreichi- ff scher aus der Taufe gehoben sein. Ist es nicht,
als flattere der Doppeladler direkt über Einem? Ich vertraue ganz Deiner Klugheit. Und erzähl' ihr auch, vielleicht käme Liszt; das macht sie guter Laune. Alles, was Pio nono mit der Hand gestreift hat, ist gesegnet ein- für allemal. Ich persönlich ziehe die Wolter vor."
Und so sprechend gingen sie den Korridor hinunter bis an die Marmortreppe, wo man sich rasch trennte, der alte Gras, um dem Fräulein, Graf Egon aber, um der Tante seinen Besuch zu machen. Alles, was er eben gehört hatte, ging ihm durch den Kopf, ohne daß es ihn geradezu verstimmt hätte, denn er liebte den Oheim wirklich und verzieh ihm gern und leicht seinen dann und wann etwas excentrisch auftretenden Theaterenthusiasmus. Aber wenn dieser Enthusiasmus auch noch größer und seine Liebe Zum Oheim geringer gewesen wäre, — der Onkel war eben ein „Erbonkel" und mußte darauf hin um so vorsichtiger behandelt werden, als das durch die Tante repräsentirte Gundolskirchen'sche Vermögen ohnehin in einer steten Gefahr war, von der Familie fort- und irgend einem kirchlichen Orden, sehr wahrscheinlich dem der Liguorianer, zuzufalleu.
Drittes Kapitel.
So verging der Vormittag.
Am Abend war das Fest, die junge Schauspielerin erschien und wurde der Gräfin Judith vorgestellt.
Aber ehe diese Vorstellung stattsinden konnte, hatte sich ein Zwischenfall ereignet, der, wenn nicht das Fest selbst, so doch die Stimmung desselben ernsthaft in Frage gestellt hatte.
Zu neun Uhr war geladen worden, und der alte Gras wartete schon der ersten Gäste, namentlich aber Judith's, als Egon in Begleitung zweier Freunde, der Grafen Pejevics und Coronini, erzherzogliche Adjutanten wie er, im Festsaal erschien und in sichtlicher Erregung auf den Oheim zuschritt. Dieser begrüßte die Herren mit der ihm eigenen Artigkeit, nahm aber an ihrer Haltung sehr bald wahr, daß etwas geschehen sein müsse.
„Was gibt es, Egon?"
„Gablenz..." Er stockte.
„Nur heraus. Ich ahne."
„Hat sich erschossen. Eben hatten wir das Telegramm. Ich wollte nicht, daß Dir unvorbereitet und inmitten Deiner Gäste die Nachricht käme."
Die beiden jungen Grasen bestätigten die Mittheilung.
Es war in einer kleinen, aus Lorbeer und Palmen arrangirten Nische, wo man das kurze Gespräch geführt hatte.
Der alte Graf antwortete nicht, stützte sich nur auf einen Marmortisch, der hier sammt ein paar Stühlen stand, und machte dann eine Handbewegnng, in der er die Herren aufsorderte, sich zu setzen. Gleich darnach aber nahm er selber Platz und sah, während er an seinem weißen Bart drehte, stumm vor sich hin. Es war augenscheinlich, daß er mit seinen Gedanken abwesend war und momentan seiner Besucher vergaß.
„Er war Dir lieb und werth," nahm Egon,