Heft 
(1885) 28
Seite
652
Einzelbild herunterladen

652

Deutsche Roman-Bibliothek.

dem die Situation peinlich zu werden anfing, endlich das Wort.

Aber der Graf verharrte noch immer in seinem Schweigen. Erst nach einer Weile war es, als ob er erwache.Lieb und Werth, sagtest Du, wohl, aber das sagt nicht genug. Er war mein Freund, das sagt mehr." Und dabei flogen ihm die Lippen. Ich weiß, es wird viel gegen ihn gesagt werden, und es ist viel gegen ihn zu sagen, oder doch Manches. Aber gegen wen nicht? Er war ein vollkommener Kavalier und hielt es mit dem Wort: ,Jch marchandire nicht? Und an dem Festhalten an diesem Wort ist er zu Grunde gegangen. Hätt' er mit dem Ehrenpunkte marchandiren können, er lebte noch."

Unter allen Umständen ein Leklagenswerther Ausgang," antwortete Graf Coronini, dem die Ver- theidignng in ihrem Ueberschwang und Zum Theil auch in einer Verkennung des Thatsächlichen offenbar mißfiel.Ein beklagenswerther Ausgang und um so beklagenswerther, als der Zweck, um dessentwillen so gehandelt wurde, nicht erreicht wird. In ge­wollter Wahrung seiner Ehre hat er sie nur auf's Neue bloßgestellt."

Ein scharfer Blick, der den jungen Grasen traf und in nicht geringe Verlegenheit brachte, schoß in diesem Augenblick aus den: von Natur schon etwas ge- rötheten Auge des alten Petöfy. Zugleich aber nahm dieser wieder das Wort und sagte:Graf Coronini, Pardon, aber dem Ernste solcher Fragen ist mit All- tagsbetrachtnngen und einer landläufigen Moral nicht beizukommen. Ich bin mit Ihrem Vater, dem Grafen, jung gewesen, ein halb Jahrhundert liegt dazwischen, und so müssen Sie mir, einen: alten Grognard, diese Sprache zugute halten. Es ist ein tiefes und schönes Wort, das Wort von der süßen Gewohnheit des Daseins; Alles, was lebt, hängt auch an: Leben, und nur Der geht, der gehen muß. Unter den vielen Bücherweisheitssätzen, die mir von Grund aus zuwider sind, steht der von der besonderen Feigling- schast Derer, die das Pistol in die Hand nehmen, obenan. Nach dem bischen Lebensweisheit, das ich mir anzneignen in der Lage war, hört das Pistol aus, wo die Feigheit ansängt, und hört die Feigheit aus, wo das Pistol ansängt. Wer es in die Hand nimmt, ist durch schwere Kämpfe gegangen. Achtung vor dem Unglück! Und nun gar der Ehrenpunkt; die Ehre! Jeder, der überhaupt davon hat, weiß allein, wo sie für ihn liegt oder nicht liegt. Bitten wir Gott insgesammt, daß der Kelch der Erniedrigung, welchen Inhalts er auch sein möge, gnädiglich an uns vorübergehe; wenn er aber doch kommt und Der, der ihn trinken soll, ihn nicht trinken mag und ge­waltsam und für immer seine Lippen dagegen schließt, so denk' ich, wir respektiren den Todten und sein Thun."

Graf Coronini, den eine glückliche Leichtlebigkeit auszeichnete, sprach in gewinnendster Weise sein Be­dauern über das ihn: entschlüpfte Wort aus, und als wenige Minuten später unter einem raschen Zu­ströme der Saal sich zu füllen begann, zeigte sich's, daß der kleine Disput ein Glück für den Verlauf des Festes gewesen war. Der alte Gras, eine durch­

aus nervöse Natur, hatte sich in seiner Philippica gegen Gras Coronini nicht nur den aufsteigenden Groll, sondern vor Allem auch die voraufgegangene schmerzliche Bewegung von der Seele herunter ge­redet und ließ nun als Wirth bis zum letzten Geigen­striche nichts von seiner gewöhnlichen Liebenswürdig­keit vermissen.

Seit jener Soiree war eine volle Woche ver­gangen, und selbst die jungen Demoiselles in dem gegenübergelegenen Konfektionsgeschäfte hatten den anfänglich unerschöpflich scheinenden Gesprächsgegen­stand als erledigt außer Kurs gesetzt, um sich in ihrer Eigenschaft als Chorus des Hauses Petöfy neuen intrikaten Fragen Zuzuwenden.

Es war Abend, nicht mehr ganz früh, und der Gaskronleuchter, der mit seinen Milchglasglocken über dem Arbeitstische hing, brannte schon seit Stunden.

Ich weiß etwas," sagte Resi, die heute wie gewöhnlich den Chorführer machte.

Was?"

Die Franz ist heute bei der alten Gräfin drüben. Ganz intim. Kleiner Cirkel. Bei dem Grafen in der Soiree neulich, nun, das war nicht viel. Aber bei der Gräfin, die so fromm ist, das bedeutet etwas. Was wohl Pater Feßler dazu sagen mag?"

Ja, der," unterbrach eine Kleine, nach innenhin Verwachsene, von der Nest mit Vorliebe zu sagen pflegte, der liebe Gott Hab' ihr eine Stufe in's Kleid genäht.Ja, der, der Feßler! Ein schöner Mann. Dem könnt' ich Alles beichten. Und es übergrnselt mich, ordentlich, wenn ich bloß daran denke."

Du?" lachten Alle.Du? Was beichtest Du denn?"

Als aber die Heiterkeit sich wieder gelegt hatte, fragte eine Dritte:Ja, der Feßler! Sage, Resi, Du hörst ja das Gras drüben wachsen, wie kommt der nur in's Petöfy'sche Haus? Er ist ja doch ein Steyrer und drüben ist Alles ungrisch."

O, nicht doch," antwortete die Gefragte.Nicht Alles; nur halb. Ans der linken Seite, wo der Gras wohnt, da freilich ist Alles ungrisch, aber aus der rechten, wo die Gräfin wohnt, ist Alles deutsch. Und der Graf und die Gräfin sind auch immer im Krieg."

Aber sie sind doch Geschwister, oder sind sie nicht?"

Gewiß sind sie. Graf Adam und Gräfin Judith und die Gräfin Eveline, die die schönste war und nun todt ist, die waren Geschwister. Und waren alle Drei rabiat ungrisch und die beiden jungen Gräfinnen am meisten. Ich weiß es von dem alten Koloman Czagy, des Grafen Kammerdiener, der jetzt krank aus Schloß Arpa liegt, weil er die Gelbsucht hat, er soll ganz abgemagert sein und aussehett wie eine Citrone. Ja, von dem weiß ich es. Als dann aber die Gräfin Judith den alten Gundols- kirchen und die Gräfin Eveline den schönen Asperg heirathete, den Vater von den: jungen Grafen, da war es mit dem Nabiatischen und den: Ungrischen vorbei. ,Nix mehr Magyar? Und Beide wurden