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Deutsche Roman-Bibliothek.
Sie fühlte seinen Mund mit abergläubischer Scheu ihr Zerfetztes Gewand berühren, hörte den Athem des Liebesberauschten schwer und tief gehen. Aber dessen nicht achtend, rang sich ein Heller Laut des Entzückens aus ihrer Kehle empor:
„Vater, hier bin ich!"
Ein Jubelrus hallte in der Höhle wieder; vorwärts über die Lichtspalte neigte sich außen eine hohe Gestalt.
„Mein Kind, sei getrost, wir retten Dich!"
Der dunkle Körper schloß den Sonnenschein aus. Tiefe Finsterniß hing über Dibbeh und dem noch eben von ihrer Lichterscheinung Bezauberten. Langsam richtete sich Assad von den Knieen aus.
„Rufst Du den Andern?" Zischte er dem Mädchen entgegen. „Liebst Du ihn?"
„Ein Wort noch! Kannst Du mich sehen?" rief Wellesley, von oben herab die Blicke in die Felsenöffnung bohrend.
Im nämlichen Augenblicke knallte vom Eingang der Höhle ein Schuß, prasselte draußen ein Stein nieder, gellte ein Schrei.
„Wenn Du ihm antwortest," fauchte Assad blind und taub für Alles, was hinter ihm Vorgehen mochte, „so ist's aus mit Dir. Jnschallah, willst Du mich lieben, mein sein?"
„Ich kann nicht!" schrie Dibbeh todesmnthig und stieß den Rasenden mit elastischer Kraft von sich. „Ich kann nicht, denn ich liebe ihn."
Und als Assad Zurücktaumelud das Messer zückte, streckte das Mädchen, sich aus die Zehen hebend, voll unaussprechlicher Sehnsucht die Arme nach oben und rief mit heißer Inbrunst:
„George, leb' wohl! — Ich liebe Dich!"
Wellesley fuhr schwindelnd empor und entfesselte den Sonnenstrahl, der nun wieder hinab in die schaurige Grotte glitt. Ringsum spähte der entzückte, der verzweifelte Mann nach einem Pfade, der ihn hinab zu Dibbeh führen könne. Da huschte ein wild blickendes, wüstes Weib, beide Hände krampfhaft um einen Zerschmetterten Flintenschaft geschlungen, an ihm vorüber, schlug ein jähes Lachen auf und verschwand in der Felsenwüste, lieber die Steine, die sie hinaufgeklettert, sprang Wellesley jetzt zum Eingang der Höhle, vorüber an Junis, der den verwundeten Arm Carabet entgegenstreckte, an den Söldnern, die feig vor der unheimlichen Tiefe Zurückschauerten. Ein ferner Schimmer leitete feine Augen, feine Füße schwebten gleichsam über die Unebenheiten des Felsenbodens der Stelle zu, wo sich in diesem Moment die Entscheidung über Leben und Tod der Geliebten vollzog. Er war waffenlos, aber er fühlte, daß seine Arme die Kraft besaßen, einen Riesen zu erwürgen. Nur einer Spanne Zeit bedurfte er, und der Sieg war sein. Allein wie beschwingt er auch voraneilte: eine Ewigkeit dehnte sich doch schon, seitdem er zuletzt Dibbeh's Stimme vernommen; jede Sekunde konnte ihr Todesschrei an sein Ohr gellen.
Die Helle wurde intensiver, glitt über belebte Formen, malte eine Vision auf den Hintergrund der Grotte. Lichtumstrahlt glänzte eine heroische Mädchengestalt, die Brust der Mörderfaust entgegengestreckt, welche unschlüssig den funkelnden Stahl schwang,
das leuchtende Auge trotzig kühn auf die wutverzerrten Züge des Antlitzes geheftet, das in feiner Starrheit doppelt furchtbar war. Aber im nächsten Augenblick schon verhüllte ein dunkles Etwas Wellesley das grausige Bild — er vernahm ein leises Klirren, sah einen Blitz anfzucken und fühlte die Erschütterung eines rollenden Getöses, welches sich bis in die fernsten Winkel der Höhle fortpflanzte.
„Alle Wetter, Miß Wellesley, ich kam zur rechten Zeit, um diesem Schuft eine Kugel in den Schädel zu senden," frohlockte Henry's kräftige Stimme dicht vor dem halbbetäubten Ohr Wellesley's, „ein wenig später, und Sie lägen jetzt in Ihrem Blute. Steigen Sie nur dreist über die Leiche hinweg und geben Sie mir den Arm, damit ich Sie aus diesem haarsträubenden Felsenlabyrinth führen kann."
Schon aber lag Dibbeh, deren Sinne schwanden, am Herzen ihres Vaters, ihres Geliebten, der sie über die Blutlache, in welcher Assad's Kopf regungslos ruhte, zu sich herübergehoben und nun mit der Geretteten an's Tageslicht vordrang. Am Thor der Grotte begrüßten die draußen Harrenden halb ungläubig die Erscheinung des verloren geglaubten Mädchens, und begeisterte Lobsprüche wurden Everett für seine Geistesgegenwart und Energie zu Theil. Dieser selbst machte indeß von seiner Heldenthat wenig Aufhebens; als Wellesley in stummem Dank seine Hand ergriff, sagte er sogar beinahe beschämt:
„Den Henker auch! Hätte ich Miß Grace etwa in der greulichen Patsche sitzen lassen sollen, in die ich sie gebracht? — Nein, Sir, ich konnte nicht weniger thun, ohne mit mir selbst die riesigsten Händel zu bekommen."
Da der Transport der ohnmächtigen Dibbeh und ihres von Thaljeh verwundeten Bruders Zeit beanspruchte, Henry auch darauf drang, die Drusin, deren Schießwaffe der von ihm geschleuderte Stein freilich unbrauchbar gemacht hatte, dennoch zu verfolgen: so wurde beschlossen, Carabet in das beinahe verlassene Lager zu senden, um Mrs. Wellesley von dem Geschehenen zu benachrichtigen. Nur ungern übernahm er diesen Auftrag, war er sich doch bewußt geworden, daß er feine bisherigen stets nur dem Buchstaben nach hatte ausführen können, ja, daß er dem Geiste feiner Aufgaben oft unwissentlich entgegengewirkt.
Harrtet war schon vor Sonnenaufgang durch ihre entsetzte Dienerschaft beunruhigt worden, welche das Ausbleiben der zum Cedernsest Aufgebrochenen, das Verschwinden Wellesley's aus feinem Zelte auf Rechnung irgend einer Banditenunthat Zu fetzen geneigt war. Der Kühle und des Nebels nicht achtend, war sie im Nachtgewande in's Freie getreten und dann ruhelos im Lager umhergeirrt, bis Carabet vor demselben erschien. Auf der Stelle hatte er der vor Frost und Erregung Bebenden nun Bericht über die Vorfälle der Nacht und des Morgens erstatten müssen, und nicht eher hatte Mrs. Wellesley abgelassen, den Harmlosen mit spitzfindigen Fragen zu bedrängen, als bis diesseits des Waldes der langsam nahende Zug sichtbar wurde, welcher in den Steinklüften organisirt worden. Da aber war Harrtet, sich gewaltsam aufraffend, in ihr Zelt getreten und