Heft 
(1885) 28
Seite
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Die Leibeigene von G. Ernst.

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hatte Mary beauftragt, das Nothwendigste zusammen­zupacken, da sie nach Tripolis aufbrechen müsse. Die Kammerfrau, der bereits die Rücksichtslosigkeit aufgefallen war, mit der ihre Herrin feit dem Vor­abend die eigene, fonst vergötterte Person behandelte, hatte diesen befremdlichen Entschluß einem Anfall von Geistesstörung zuschreiben Zu müssen geglaubt und sich wohl gehütet, den erhaltenen Befehl auszu­führen. Ihre Annahme schien sich auch insofern Zu bewahrheiten, als Mrs. Wellesley, geschwächt durch jahrelange Verzärtelung und innere Kämpfe, in der That bald unter den Folgen ihrer heutigen Unvor­sichtigkeit ernstlich Zu leiden anfing und, statt vor der Ankunft der Karawane das Lager verlassen Zu können, sich genöthigt sah, ihre von Fieberfrost und Glut abwechselnd durchbebten Glieder auf die Luft­polster in ihrem Schlasgemach Zu strecken.

' Die Nachricht von Harriet's Unwohlsein war die erste, welche Wellesley und Dibbeh, als sie Seite an Seite, tu beklommenes Schweigen versunken, den Platz unter der Platane erreichten, entgegengebracht wurde, uud Zwar von dem Missionär, dessen ärzt­liche Kunst bereits aufgerusen worden war, um der Leidenden Erleichterung zu schaffen. Das gerettete Mädchen, deren Gedanken bisher noch die schaurigen Vorfälle umschwirrt hatten, welche ihrer Erinnerung so nahe lagen, schien aus einem Traum auszu­schrecken, als jener Name genannt wurde. Seitdem sie gestern Abend so energisch für die Rechte der langjährigen Gattin ihres Pflegevaters aufgetreten war, hatte sich in ihrem innigen, zärtlichen Gefühl für diesen eine Wandlung zur Leidenschaft vollzogen; in dem Augenblick, da ihr junges Leben nur noch an einem Faden hing, war das Bekenntniß der so plötzlich voll gereisten Liebe über ihre Lippen ge­glitten. Aus dem Jenseits hatte sie Wellesley zu­zurufen gewähnt, daß sie sein eigen sei; das Sün­dige dieser geistigen Hingabe war ihr schon im eigenen Blut gesühnt erschienen.

Nun aber, da Dibbeh eine Auferstehung aus der Agonie erlebt, kam es ihr Zu, das persönliche Bewußtsein auch wieder in Einklang mit der all­gemein gültigen Sittlichkeit Zu setzen: dieselben Rechte, welche sie gestern Wellesley's Gattin Zuerkannt, mußte sie heute für die Nebenbuhlerin gelten lassen. Ja, sonderbar: so wenig sympathisch Harriet dem jungen Mädchen auch früher gewesen, als sie in ihr nur eine verwöhnte Modedame zu sehen glaubte, so mitleidsvoll schlug Dibbeh's Herz jetzt der Frau entgegen, welcher sie die Liebe ihres Gatten geraubt.

Dem peinlichen Schweigen, das der Mittheilung Carabet's folgte, machte Dibbeh zuerst ein Ende.

Laß mich, Vater," sagte sie mit niedergeschlage­nem Auge und bedeutsamer Betonung zu dem eben­falls tief ergriffenen Gefährten,die Kranke gleich jetzt besuchen."

Du bist selbst noch zu angegriffen von der bestandenen furchtbaren Gefahr, um Dich als Pfle­gerin nützlich machen zu können," eutgegnete er zögernd.

Sei vielmehr überzeugt, daß es mir heilsam sein wird, mich selbst vergessen zu können," ver­sicherte sie ernst.

Er trat ihr näher und murmelte:Wird Harriet Dich um sich sehen wollen?"

Dibbeh zuckte zusammen. Dieser Einwurf schien ihr ein Verdammungsurtheil. Doch bald faßte sie sich so weit, um Carabet fragen zu können, ob Mrs. Wellesley bei Bewußtsein sei.

Leider nein, und ich fürchte, ihr Kopf wird sich noch mehr verwirren, wenn der Abend einbricht."

Ohne weiter ein Wort zu verlieren, eilte das junge Mädchen dem Zelt Harriet's zu. Erstaunt sah Mary sie dasselbe betreten; hatte doch bisher zwischen Pflegemutter und Pflegetochter völlige Ent­fremdung geherrscht; auch als Dibbeh sich nun an­schickte, an der Sorge für d!e Kranke theilzunehmen, schüttelte die erfahrene Kammerfrau zweifelnd den Kops. Was konnte man in der That für Hülfs- leistnngen von dem wilden Dinge erwarten, das von keinem Körperleiden wußte!

Allein Dibbeh ließ es sich angelegen sein, dieß Vorurtheil zu Schanden zu machen; unter dem Schutze der Bewußtlosigkeit Harriet's wagte sie, dieser alle Handreichungen zu thuu, welche zuerst Carabet und dann ein von dem verwundeten Aunis, der sich im Kloster einquartiert, dorther gesandter heilkundiger Mönch verordnet^ Diese Leiden ärztlichen Dilettan­ten sahen sich jedoch nur zu bald an der Grenze ihres Könnens angelangt, und die Frage wurde an­geregt, ob sich nicht ein Transport der Kranken nach Berut ermöglichen lasse. Judeß waren die Wege und vor Allem die Verkehrsmittel zu primitiv, um dieses Waguiß unternehmen Zu können; Wellesley schrieb daher an Roß und forderte die Sendung des tüchtigsten Arztes der Mission, dem er für seinen Aufenthalt in Kanobin reiche Entschädigung versprach.

Henry war es, der die Beförderung dieser dring­lichen Botschaft übernahm. Die Nolle, welche er in dem blutigen Drama vom Cedernberg gespielt, der Umstand, daß er mit Abu Jschok's Hülse Thaljeh gefangen genommen, legten es ihm nahe, in der Küstenstadt mit dem amerikanischen Konsul zu kon- feriren; zudem hatte Aunis, dessen wenngleich un­gefährliche Verwundung ihn noch vom Reisen abhielt, Everett dringend ersucht, dem Gouverneur gegenüber das Ausbleiben seines Sekretärs in einer Weise zu entschuldigen, welche aus diesen das denkbar günstigste Licht Wersen müsse. So verließ denn am Tage nach Harriet's Erkrankung ihr Vetter bereits mit einem Führer den Lagerplatz und erreichte, dank seinem energischen Eifer, in außerordentlich kurzer Frist das Ziel des beschwerlichen Rittes.

Es war nicht Henry's Schuld, daß, als der von Roß zur Hülseleistung in Kanobin geworbene ame­rikanische Arzt dort in möglichster Eile eintraf, dessen ernste Miene nach dem ersten Blick, den er auf die Kranke geworfen, einZu spät" auszudrücken schien, wie auch kein Vorwurf die sich in Mrs. Wellesley's Pflege erschöpfenden Zurückgebliebenen treffen konnte. Der Organismus Harriet's, in systematischer Weise verfeinert, verweichlicht, war, sobald sie ihn rücksichts­los rauhen Einflüssen ausgesetzt hatte, in's Innerste getroffen worden und zersetzte sich unaufhaltsam, wenn auch ohne schmerzliche Krisen. Während der Fieberansälle, die sich täglich erneuerten, war sie